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Daniyel Demir
Konferenzmanager Personal
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Keine Tricksereien mit dem Mindestlohn!
LAG Baden-Württemberg vom 11.01.2024, 3 Sa 4/23
Kein Arbeitsverhältnis unter dieser Nummer
ArbG Bremen-Bremerhaven vom 14.12.2023, 2 Ca 2206/23 und 2207/23
Ohne Darlegung keine Vergütung – keine Änderung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess im Lichte des sog. Stechuhr-Urteils des Eu
BAG, Urteil vom 04.05.2022 – 5 AZR 359/21
Bei einer Klage auf Vergütung von Überstunden trifft den Arbeitnehmer nach den durch das BAG aufgestellten Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast. An diesen Grundsätzen ändert sich auch nichts durch das sog. Stechuhr-Urteil des EuGH (Urteil vom 14.05.2019 – C-55/19) betreffend die Pflicht zur Einführung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung.
Sachverhalt und Vorinstanzen
Der Kläger, ein Auslieferungsfahrer, verlangte vor dem Arbeitsgericht Emden unter anderem die Zahlung von Vergütung für 348 Überstunden, die aus der Auswertung einer technischen Aufzeichnung der Arbeitszeit hervorgingen. Die beklagte Arbeitgeberin erfasste Beginn und Ende der Arbeitszeit, wobei die vor Ort tätigen Mitarbeiter auch Pausen registrierten. Bei nicht vor Ort tätigen Fahrern wie dem Kläger wurden Anfangs- und Endzeiten zum Ausgleich automatisch gerundet. Der Kläger hat – ohne dies im Detail zu begründen – behauptet, er habe stets gearbeitet, ohne Pausen zu machen. Dies sei zur Erledigung der anfallenden Tätigkeiten auch erforderlich gewesen.
Nach gefestigter Rechtsprechung des BAG trifft bei einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast sowohl für die tatsächliche Leistung von Überstunden als auch für die Anordnung, Duldung oder Billigung der Überstunden durch den Arbeitgeber. Das Arbeitsgericht Emden (Urteil vom 09.11.2020 - 2 Ca 399/18) sprach dem Kläger dennoch unter anderem die Vergütung für die 348 Überstunden zu. Es zog zur Begründung das sog. Stechuhr-Urteil des EuGH heran. In diesem Urteil legte der EuGH die Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) wie folgt aus: Arbeitgeber seien nach nationalem Recht zu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Nach Auffassung des ArbG Emden bestehe im Lichte dieses Urteils eine Pflicht zur dementsprechenden Arbeitszeiterfassung in unionsrechtskonformer Auslegung insbesondere des § 618 BGB. Dem genüge die Zeiterfassung der Beklagten nicht. Dies stelle eine Beweisvereitelung durch die Beklagte dar und führe de facto zu einer Beweislastumkehr. Ähnlich hatte sich das ArbG Emden auch in zwei weiteren Entscheidungen aus dem Jahr 2020 positioniert (Urteil vom 20.02.2020 – 2 Ca 94/19; Urteil vom 24.09.2020 - 2 Ca 144/20).
Das LAG Niedersachsen (Urteil vom 06.05.2021 – 5 Sa 1292/20) hat das Urteil, u.a. soweit es um die Vergütung der 348 Überstunden ging, aufgehoben. Das Urteil des EuGH könne sich auf die Darlegungs- und Beweislast bei Klage auf Vergütung von Überstunden jedenfalls nicht hinsichtlich der Anordnung, Duldung oder Billigung von Überstunden durch den Arbeitgeber auswirken. Das Urteil befasse sich allein mit Fragen des Arbeitsschutzes. Dem EuGH fehle bereits die Kompetenz hinsichtlich Fragen der Arbeitsvergütung zu entscheiden, was sich bereits aus § 153 Abs. 5 AEUV ergebe. Es verbleibe insoweit bei den durch das BAG aufgestellten Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess. Ausgehend von diesen Grundsätzen habe der Kläger mindestens die Voraussetzungen einer arbeitgeberseitigen Veranlassung der Überstunden nicht hinreichend dargelegt.
Trotz der eindeutigen Absage des LAG Niedersachsen hat die Auffassung des ArbG Emden für große Verunsicherung unter Arbeitgebern gesorgt und die Landesarbeitsgerichte auch über Niedersachsen hinaus beschäftigt (vgl. z.B. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.02.2021 – 8 Sa 169/20).
Entscheidung
Das BAG hat sich der Auffassung des LAG Niedersachsen angeschlossen und die gegen das Urteil gerichtete Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Urteilsgründe sind bislang noch nicht veröffentlicht. Der Pressemitteilung des BAG ist zu entnehmen, dass es bei dem Grundsatz der Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers insbesondere für die arbeitgeberseitige Veranlassung von Überstunden bleibe. Anderes folge auch nicht aus dem genannten Urteil des EuGH. Dieses sei zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG und von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergangen, doch diese Bestimmungen fänden grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung.
Wie das BAG seine Auffassung dogmatisch im Detail untermauert und ob das BAG die Entscheidung zum Anlass nimmt, sich – ggf. in einem obiter dictum – noch über die Überstundenthematik hinaus zum Umgang mit dem Urteil des EuGH zu äußern, wird erst die Veröffentlichung der Urteilsgründe zeigen.
Bewertung
Fest steht nunmehr, dass es derzeit bei den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess bleibt. Auch unterstreicht die Entscheidung die Trennung der „arbeitszeitlichen Dimensionen“ Vergütung auf der einen und Arbeitsschutz auf der anderen Seite. Diese Trennung ist nicht nur auf Ebene der nationalen Gesetze, sondern eben auch auf der Ebene europarechtlicher Kompetenzregelungen von großer Bedeutung.
Aus Arbeitgebersicht ist die Entscheidung zu begrüßen. Hätte sich das BAG der Auffassung des ArbG Emden angeschlossen, hätte dies nicht nur zu einer Vielzahl von Klagen auf Überstundenvergütung geführt. Vielmehr hätten sich Arbeitgeber und Rechtsberater in der – unbefriedigenden – Situation vorgefunden, eine innerbetriebliche Lösung zur rechtssicheren Umsetzung der Entscheidung des EuGH zu finden, ohne dass der Gesetzgeber bisher die in der Entscheidung dargelegte Auslegung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie in nationales Recht umgesetzt hätte.
Eine Umsetzung in nationales Recht steht auch mehr als drei Jahre nach der Entscheidung noch aus. Auch die geplante Teilumsetzung in Form einer elektronischen Arbeitszeiterfassung für einzelne Branchen im Referentenwurf zum (vielfach kritisierten) „Zweiten Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ ist im Regierungsentwurf nicht mehr enthalten.
Das sog. Stechuhr-Urteil des EuGH wird Arbeitgeber, Rechtsberater und Rechtsprechung auch in Zukunft weiter beschäftigen. Ob und wie sich dessen Umsetzung in nationales Recht auf die Überstundenvergütung auswirken wird, bleibt abzuwarten.
Janine Gebhart, Rechtsanwältin, Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte Steuerberater Solicitors Partnerschaft mbB
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Einrichtungsbezogene Impfpflicht – Täuschung über Impfunfähigkeit
ArbG Lübeck, Urteil vom 13.04.2022 – 5 Ca 189/22
Im Rahmen der Coronavirus-Krise haben schon gefälschte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eine unrühmliche Rolle eingenommen. Nahtlos knüpfen gefälschte Impfunfähigkeitsnachweise jetzt daran an, nachdem in § 20a Abs. 1 IfSG eine einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt worden ist. Das ArbG Lübeck hat in einer der ersten Entscheidungen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht klargestellt, dass das Infektionsschutzgesetz einen „vorläufigen“ Impfunfähigkeitsnachweis nicht kennt und die Vorlage eines gefälschten Impfunfähigkeitsnachweises zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen kann.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
Die Beklagte bat ihre Beschäftigten um Vorlage eines der nach § 20a Abs. 2 IfSG vorgesehenen Nachweise, nachdem sie diese zuvor über die einrichtungsbezogene Impfpflicht nach § 20a Abs. 1 IfSG informiert hatte. Hierauf legte die seit ca. 18 Jahren bei der Beklagten beschäftigte Klägerin eine Bescheinigung über eine angeblich vorläufige Impf-Kontraindikation vor. Das Gesundheitsamt, dem die Beklagte diese Bescheinigung nach § 20a Abs. 2 S. 2 IfSG wiederum vorlegte, kam zu dem Schluss, dass die Bescheinigung schlicht aus dem Internet heruntergeladen wurde und auch keine ärztliche Untersuchung zugrunde lag. Hierauf sprach die Beklagte gegenüber der tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Klägerin eine außerordentliche und fristlose, hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist aus, nachdem der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat der Kündigung zugestimmt hatte.
Die Klägerin wandte sich gegen die Kündigung und machte unter anderem geltend, dass ausschließlich das Gesundheitsamt den Fall zu untersuchen habe und arbeitsrechtliche Rechtsfolgen immer von der Entscheidung des Gesundheitsamtes abhängig seien.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht wies die Klage im Wesentlichen ab und erkannte darauf, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist beendet wird.
Mit der Vorlage des nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhenden Dokuments habe die Klägerin versucht, die Beklagte über ihre Impfunfähigkeit zu täuschen. Damit habe sie in schwerwiegender Weise gegen ihre auf § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG beruhende arbeitsvertragliche Nebenpflicht verstoßen.
Es könne unterstellt werden, dass die Klägerin wusste, dass die Bescheinigung nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhte und damit keine Anhaltspunkte für eine Impfunfähigkeit belegen konnte. Es obliege zudem nicht ausschließlich dem Gesundheitsamt, Maßnahmen zu ergreifen. Unabhängig von den öffentlich-rechtlichen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes bestünden im Arbeitsverhältnis (Neben-)Pflichten, die auch aus § 20a Abs. 2 S. 1 Ziff. 1-3 IfSG folgen. Ein der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nach § 20a Abs. 1 S. 1 IfSG unterliegender Arbeitnehmer habe demnach, wenn er sie vorlege, ordnungsgemäße und korrekte Nachweise vorzulegen. Der Ausspruch arbeitsrechtlicher Maßnahmen obliege allein dem Arbeitgeber, nicht dem Gesundheitsamt. Zu Lasten der Klägerin sei zu werten, dass sie die Wahl gehabt habe, auch keinen Nachweis vorzulegen. Dennoch habe sie einen gefälschten Impfunfähigkeitsnachweis vorgelegt.
Im Ergebnis habe die Klägerin schwerwiegend ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, zudem habe sie eine fehlende Einsichtsfähigkeit gezeigt. Unter Einbeziehung ihrer langen Betriebszugehörigkeit sei aus sozialen Erwägungen (nur) die hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist angemessen und verhältnismäßig.
Bewertung
Die Entscheidung des ArbG Lübeck ist eines der ersten Urteile, die sich mit einer Kündigung im Rahmen der einrichtungsbezogenen Impflicht befassen. Erfreulich klar ist die Entscheidung darin, dass die abwegige Auffassung der Klägerin, wonach § 20a IfSG arbeitsrechtliche Maßnahmen ausschließen soll, unzutreffend ist. Im Fall der Vorlage eines Nachweises sind Arbeitnehmer dazu verpflichtet, einen ordnungsgemäßen und korrekten Nachweis vorzulegen. Legen Arbeitnehmer gefälschte Nachweise vor, sollte der Arbeitgeber nicht davor zurückschrecken, umgehend Maßnahmen zu ergreifen.
Dr. Adrian Löser, Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte Steuerberater Solicitors Partnerschaft mbB, Berlin
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