Krise & Chance Februar 2025

KRISE CHANCE präsentiert von Februar 2025 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz NEUE SERIE: „Erfolgsfaktor Sanierung“ EIN JAHR INSOLVENZANTRAGSPFLICHT

Die Elektro-Wende zwingt die erfolgsverwöhnte Autobranche sich neu zu erfinden. Noch härter als die Autobauer trifft der radikale Wandel die Zulieferer der Autoindustrie, resümiert der Deloitte Supplier Risk Monitor, der im Rahmen der AutoReCon 2024 in Hannover vorgestellt wurde. „Auf Grund der rückläufigen Nachfrage, inklusive Verbrenner- und Batterieantrieb, sollten oben auf der Agenda ein stringentes Kostenmanagement mit transparenten Maßnahmenpaketen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und im gesamten SG&A-Bereich stehen – begleitet von einer Verbesserung der Cash- und Finanzierungssituation“, beschreibt Dr. Philipp Kinzler von Deloitte den aktuellen Handlungsdruck. „Viele Automobilzulieferer müssen bei ihrer wirtschaftlichen Planung weitaus stärker als bislang auf Sicht fahren, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Und das bedeutet natürlich auch, dass die Unternehmen auf die Kostenbremse treten müssen – koste es, was es wolle!“, ergänzt Wirtschaftsjurist Tobias Hartwig von Schultze & Braun. Inzwischen kommt „fast ein Drittel der weltweit gebauten Kraftfahrzeuge aus chinesischen Fabriken, die weitaus billiger produzieren als es hierzulande möglich wäre“, stellt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) fest. „Der technologische Wandel durch Elektrifizierung und Digitalisierung führt dazu, dass der Kostendruck erhalten bleibt und tendenziell eher zunimmt“, prognostiziert auch Deloitte-Experte Kinzler. Vor allem mittlere und kleinere Zulieferer hätten haben oftmals nicht genug finanzielle Rücklagen, um die Herausforderungen der Transformation im Antriebsbereich in Kombination mit den zahlreichen weiteren Herausforderungen, wie etwa das Zinsniveau oder die Nachhaltigkeitsanforderungen, zu meistern. Schon länger sei „das Gleichgewicht zwischen Produktion und Beschäftigung in der Automobilindustrie in Deutschland gestört“, analysiert Eric Heymann, Autoexperte bei der Deutschen Bank Research. Er weist darauf hin, dass die Produktion der Autoindustrie im Inland aktuell „um fast 23 Prozent unter den früheren Höchstständen liegt“. Gleichzeitig hätten die Unternehmen die Beschäftigung aber nur um acht Prozent verringert. „Dies deutet auf eine gesunkene Produktivität hin“, so Heymann, es zeige aber auch den Überhang an Beschäftigten bei den Autobauern und ihren Zulieferern. Deshalb „wird in vielen Fällen das gesamte Geschäftsmodell der Zulieferer mit Blick auf die Kosten neu zu bewerten sein“, sagt Kinzler. Zulieferer müssten gleichzeitig die Herstellungskosten verbessern, dafür sorgen, dass sie schwerer substituierbar seien und dabei auch die F&E-Kosten im Rahmen halten. Wenn aber alle Maßnahmen zur Kostensenkung keinen Erfolg haben, „bietet das deutsche Insolvenz- und Sanierungsrecht auch noch zahlreiche Verfahren und Instrumente, mit denen Zulieferer eine operative und finanzielle Krise meistern können“, erläutert Tobias Hartwig. Eine großangelegte Untersuchung von Schultze & Braun zeige, „dass sowohl das Regelinsolvenzverfahren als auch die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren für nachhaltige Unternehmenssanierungen stehen“. TICKER DEUTSCHE AUTOINDUSTRIE UNTER MASSIVEM DRUCK

Nicht in eine finanzielle Schieflage geraten – diesen guten Vorsatz würde wohl jeder Geschäftsleiter unterschreiben, und das nicht nur zum Start ins (nicht mehr ganz so) neue Jahr. Jedoch wird die Umsetzung dieses guten Vorsatzes durch die nach wie vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen erschwert. Hinzu kommt das Rekordhoch der Lohnnebenkosten – hauptsächlich getrieben durch die zum Jahreswechsel nochmals gestiegenen Sozialversicherungsbeiträge. Durch ihre Anhebung sollen finanzielle Schieflagen bei der Kranken- und der Pflegeversicherung vermieden werden. Allerdings geht es inzwischen vielen Unternehmen wie der Kranken- und der Pflegeversicherung: Sie befinden sich in einer finanziellen Schieflage oder drohen absehbar in eine zu geraten. Nachvollziehbarerweise versuchen Geschäftsleiter mit allen Mitteln, eine mögliche Insolvenzreife ihres Unternehmens zu beheben. Dabei sollten sie aber die möglichen Haftungsrisiken im Blick haben. Auch deshalb haben wir in dieser Ausgabe einen Schwerpunkt auf die Insolvenzantragspflicht gelegt, die nun seit einem Jahr wieder in vollem Umfang gilt. In diesem Zusammenhang lohnt sich für Geschäftsleiter auch ein Blick auf das Titelthema unserer letzten Ausgabe des vergangenen Jahres – gerade, da sie sich, was die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für ihre Mitarbeitenden betrifft, in einem SozialversicherungsHaftungsdilemma befinden, das Thomas Dömmecke in seinem Beitrag „Steigende Beiträge und finanzielle Risiken“ einordnet. Doch kommen wir zurück zur ersten Ausgabe des Jahres 2025, in der wir auch unsere neue Serie „Erfolgsfaktor Sanierung“ starten. Zur Premiere mit einem Beispiel für die zielgerichtete Zusammenarbeit zwischen Sach- und Eigenverwaltung im Verfahren von Lysoform. Das Familienunternehmen steht als Marke seit 125 Jahren für hochwirksame Desinfektionsmittel und Antiseptika. Im Zuge der Corona-Pandemie geriet Lysoform allerdings in eine wirtschaftliche Schieflage. Mit Hilfe eines Eigenverwaltungsverfahrens konnte Lysoform wieder auf eine gesunde wirtschaftliche Basis gestellt werden. Christian Otto von hww hermann wienberg wilhelm hat als Sachwalter darauf geachtet, dass die Rechte der Gläubiger von Lysoform gewahrt wurden. Dr. Christoph von Wilcken von Schultze & Braun hat die Geschäftsleitung des Unternehmens im Verfahren beraten und operativ unterstützt. In unserem Titelthema erläutern Dr. Jürgen Erbe und Alexander von Saenger von Schultze & Braun, worauf Geschäftsleiter im Zusammenhang mit der seit einem Jahr wieder in vollem Umfang geltenden Insolvenzantragspflicht achten müssen und welche Möglichkeiten das Insolvenz- und das Sanierungsarbeitsrecht bieten, um eine Krise zu meistern. Vor fünf Jahren, Ende Januar 2020, traten in Deutschland die ersten Corona-Fälle auf. Bis zum Ende der Corona-Maßnahmen rund 40 Monate später, gab es für Unternehmen zahlreiche wirtschaftliche Auswirkungen – Stichwort Lockdowns – für die der Staat ihnen finanziell unter die Arme gegriffen hat. Nun sehen sich zahlreiche Unternehmen mit Rückzahlungsforderungen konfrontiert. Im Interview erläutern Stefan Schwindl von der MTG Wirtschaftskanzlei und Dr. Elske Fehl-Weileder von Schultze & Braun, welche Rechte und Pflichten Unternehmen haben, die Hilfen zurückzahlen müssen und welche Punkte sie beachten sollten. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und einen guten Start ins neue Jahr, Ihr Tobias Hirte E D I T O R I A L

Die Insolvenzen von Großunternehmen der Immobilienbranche sind im Jahr 2024 weiter gestiegen – und haben sich im Jahresvergleich mit 2023 sogar mehr als verdoppelt. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der Beratungsgesellschaft FalkenSteg unter der Leitung von Christian Alpers. Und der Trend dürfte sich auch in diesem Jahr fortsetzen. Umso wichtiger ist es, den Blick darauf zu richten, welche Lösungen es für die Vermögenswerte und Immobilienprojekte im Falle einer Insolvenz gibt. In der Großinsolvenz des Projektentwicklers Project konnte Insolvenzverwalter Volker Böhm von Schultze & Braun von Schultze & Braun Mitte Januar 2025 (wieder einmal) gute Nachrichten verkünden. Gut ein Jahr nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat er für alle fortführungsfähigen 15 Bauprojekte mit rund 940 Wohnungen die Fertigstellung sichergestellt. „Ich freue mich sehr für die Wohnungskäufer, dass es uns trotz der äußerst schwierigen insolvenzbedingten Ausgangslage gelungen ist, für alle fortführungsfähigen Objekte den Weiterbau sicher zu stellen“, sagt der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht. „Bei Insolvenzen von Bauträgern ist dies die absolute Ausnahme. Die Project-Gruppe war im Sommer 2023 als einer der ersten großen Projektentwickler in finanzielle Schwierigkeiten geraten und hatte für die Vielzahl seiner Projektgesellschaften Insolvenzanträge gestellt. Insgesamt hatte Project Immobilien rund eine Milliarde Euro deutschlandweit in rund 120 Projekte investiert – alle in eigenen Gesellschaften und in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Volker Böhm, der bei den meisten dieser Gesellschaften als Insolvenzverwalter tätig ist, konnte in dieser Immobilien-Großinsolvenz unter anderem mit dem Nürnberger Modell eine Lösung finden, die die individuellen Interessen der Beteiligten berücksichtigt. Darüber haben wir in der August-Ausgabe 2024 mit ihm gesprochen. IMMOBILIEN UND INSOLVENZEN TICKER

Die Stabilität des Finanzmarkts ist auch für die Realwirtschaft ein existentieller Faktor zur Bewältigung von Krisen. In der deutschen Finanzwirtschaft rücken Kreditrisiken verstärkt ins Blickfeld. Das wurde nicht zuletzt bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts der Deutsche Bundesbank deutlich, den Vorstand Michael Theurer Ende November 2024 vorgestellt hat. Daher sind ein funktionierender und professioneller Sekundärmarkt für notleidende Kredite (NPL) und eine profunde Krisenexpertise wichtiger denn je. Die Ergebnisse des NPL-Barometers der BKS und der Frankfurt School of Finance & Management sprechen eine eindeutige Sprache! Wie auch bei den Insolvenzen dürfte sich bei den NPL der Anstieg auch im Jahr 2025 fortsetzen – und das insbesondere auch bei Gewerbeimmobilien, einem Sektor, dem auch die Bundesbank besondere Aufmerksamkeit widmet und bei dem Banken auch im Blick haben sollten, welche Vorteile etwa eine Zwangsverwaltung haben kann. Auf Jahressicht ist nach den Schätzungen der BKS bei deutschen Banken branchenübergreifend mit NPL mit einem Volumen von über 40 Mrd. Euro zu rechnen. Das bedeutet, dass Vorsorge das A und O ist, um möglichen Kreditrisiken frühzeitig und proaktiv begegnen zu können - etwa durch den Verkauf von Kreditportfolios an Investoren auf dem Zweitmarkt. Um die Forderungen und die aus ihnen resultierenden Chancen und Risiken bewerten zu können, spielt eine fundierte Krisenexpertise eine gewichtige Rolle. Diese ist für Banken aber auch für die Bewertung ihres Ausfallrisikos von besonderer Bedeutung. STABILITÄT DES FINANZMARKTS

EIN JAHR INSOL ANTRAGSPFLI T I TEL

LVENZCHT

Seit einem Jahr greift die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang. Dr. Jürgen Erbe und Alexander von Saenger von Schultze & Braun erläutern, worauf Geschäftsleiter in diesem Zusammenhang achten müssen und welche Möglichkeiten das Insolvenz- und das Sanierungsarbeitsrecht bieten, um eine Krise zu meistern. Herr Erbe, Herr von Saenger, welche Bedeutung hat die Insolvenzantragspflicht für Geschäftsleiter? Erbe: Kein Unternehmen ist davor gefeit, in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten. Auch wenn das zunächst hart klingt: Angesichts der zahlreichen wirtschaftlichen Herausforderungen sollten sich Geschäftsleiter regelmäßig mit der Frage befassen, ob ihr Unternehmen unter Umständen insolvenzreif ist – gerade auch, um eine finanzielle Haftung und/ oder strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden. von Saenger: In der Praxis werden Insolvenzanträge aber nach wie vor leider oft zu spät gestellt. Dies geschieht zumeist, weil – durchaus nachvollziehbar – mit allen Mitteln versucht wird, eine Insolvenz zu vermeiden. Dadurch sinken jedoch – unabhängig davon, ob für die Sanierung ein gerichtliches Insolvenzverfahren genutzt wird oder nicht – die Chancen für eine dauerhafte Fortführung und den Erhalt des Unternehmens. Zudem setzen sich Geschäftsleiter Haftungsrisiken aus, wenn sie einen verpflichtenden Insolvenzantrag nicht oder verspätet stellen. Die Erleichterungen beim Insolvenzgrund der Überschuldung sind weggefallen. Was ergibt sich daraus? Erbe: Einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung muss ein Geschäftsleiter stellen, wenn er nicht nachweisen kann, dass sein Unternehmen die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist. Die Höchstfrist für einen Insolvenzantrag dafür umfasst sechs Wochen. Unternehmen können während dieser Zeit eine außerinsolvenzliche Sanierung – zum Beispiel auf Basis eines nachvollziehbaren und belastbaren Restrukturierungsplans – angehen, auch wenn sie T I TEL

für die kommenden zwölf Monate nicht durchfinanziert sind. Für Geschäftsleiter ist aber wichtig, dass sie die Frist nicht ausschöpfen, wenn bereits während der sechs Wochen-Frist feststeht, dass die Überschuldung mit der außerinsolvenzlichen Sanierung aller Voraussicht nach nicht beseitigt werden kann. von Saenger: Die Zahlungsunfähigkeit ist aber auch weiterhin der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen. Grundsätzlich gilt: Kann ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen, ist es zahlungsunfähig. In einem solchen Fall ist ein Geschäftsleiter dazu verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist – in der Regel drei Wochen – einen Insolvenzantrag zu stellen. Beim Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit gilt zudem das Gleiche wie bei der Überschuldung: Geschäftsleiter sollten die Frist von drei Wochen nicht ausschöpfen. Was raten Sie Geschäftsleitern? Erbe: Grundsätzlich gilt: Geschäftsleiter sind gut beraten, eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung rechtzeitig angehen, wenn ihr Unternehmen noch Reserven hat. Wenn Gegenmaßnahmen frühzeitig eingeleitet werden, bestehen bessere Chancen auf einen erfolgreichen und nachhaltigen Ausgang. Einfach abzuwarten und auf eine baldige Besserung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen, ist keine sinnvolle Strategie. Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in einer Krise befindet oder absehbar darauf zusteuert, sollten auch eine Neuaufstellung mit Hilfe des Sanierungsrechts, das unterschiedliche Möglichkeiten und Verfahren bietet, zumindest als Option ansehen. Welche Optionen bietet das Sanierungsarbeitsrecht? von Saenger: Es gibt mehrere Regelungen in der Insolvenzordnung, die in das Arbeitsrecht eingreifen. Ein zentraler Punkt ist die Tatsache, dass in einem Insolvenzverfahren die Kündigungsfrist von Mitarbeitenden auf maximal drei Monate reduziert wird. Das heißt: In einem Insolvenzverfahren gibt es die Option, bei Bedarf in bestehende Verträge einzugreifen und Kündigungsfristen zu verringern. Das ist insofern von besonderer Bedeutung, da durch die Insolvenzordnung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die verkürzten Kündigungsfristen auch dann wirksam sind, wenn es im Unternehmen zum Beispiel Tarifverträge gibt, die Bestandsschutz oder Beschäftigungssicherung geben oder den Standort sichern. Das klingt zunächst hart, kann für den Erhalt des Unternehmens und zumindest eines Teils der Arbeitsplätze aber entscheidend sein, wenn dafür notwendige Kündigungen schneller wirksam oder überhaupt erst möglich werden. Erbe: Für die Stabilisierung des Geschäftsbetriebs und die Neuaufstellung eines Unternehmens bietet die Insolvenzordnung zudem einen weiteren Vorteil. Das Insolvenzgeld – also, dass die Löhne und Gehälter der Mitarbeitenden nach dem Insolvenzantrag für bis zu drei Monate über die Insolvenzgeldumlage von der Bundesagentur für Arbeit gesichert sind – ist im Rahmen einer Sanierung ein essenzieller Faktor. Wenn man den Mitarbeitenden klar machen kann, dass sie sich für die nächsten drei Monate keine Gedanken machen müssen, da auf das Insolvenzgeld zurückgegriffen werden kann, ist das zu Beginn eines Verfahrens auf jeden Fall eine positive Botschaft. Für das Unternehmen bedeutet das Insolvenzgeld, dass es bis zu drei Monate ohne Personalkosten produzieren und verkaufen und die dabei erzielten Einnahmen für den weiteren Sanierungsweg zurücklegen und nutzen kann. Das Ziel – die erfolgreiche Sanierung und das Verlassen des Verfahrens – ist mit Hilfe eines Insolvenzplans oder einer Übertragenden Sanierung möglich. Um das Ziel zu erreichen, benötigt das Unternehmen aber häufig Zeit und diese Zeit gewinnt es dadurch, dass es in der Phase des vorläufigen Verfahrens, in der es das Insolvenzgeld gibt, sich einen finanziellen Puffer für die weiteren Sanierungsschritte schafft. Denn dadurch wird eine Sanierung teilweise überhaupt erst machbar, da insolvente Unternehmen ja oftmals keine finanziellen Rücklagen haben.

CORONA-RÜCKZAHLUN ABGERECHNET WIRD Z THEMA Vor fünf Jahren, Ende Januar 2020, traten in Deutschland die ersten Corona-Fälle auf. Bis zum Ende der Corona-Maßnahmen rund 40 Monate später, gab es für Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen – Stichwort Lockdowns – die der Staat finanziell abmildern wollte. Nun sehen sich zahlreiche Unternehmen mit Rückforderungen der einstigen Hilfszahlungen konfrontiert. Im Interview erläutern Stefan Schwindl von der MTG Wirtschaftskanzlei und Dr. Elske Fehl-Weileder von Schultze & Braun, welche Rechte und Pflichten Unternehmen haben, die Hilfen zurückzahlen müssen und welche Punkte sie beachten sollten. Frau Fehl-Weileder, Herr Schwindl, allerspätestens bis Ende September 2024 mussten Unternehmen, die Überbrückungshilfen erhalten haben, eine Schlussabrechnung einreichen. Wie sieht der aktuelle Stand aus? Fehl-Weileder: Nach dem Fristende für die Einreichung der sogenannten Schlussabrechnungen werden nun von den zuständigen Bewilligungsstellen die Bescheide versandt, und gerade für Unternehmen, die einen Rückzahlungsbescheid erhalten haben oder noch erhalten, ist es wichtig, zu wissen, welche Optionen sie haben. Schwindl: Aus der Schlussabrechnung kann sich eine Rückzahlung etwa dann ergeben, wenn der Corona-bedingte Umsatzausfall geringer war, als bei der Beantragung der Hilfe angenommen wurde. Bei Rückfragen der Bewilligungsstellen im Rahmen der Schlussabrechnung ging und geht es für die Unternehmen zudem verstärkt darum, nachzuweisen, dass der angegebene Umsatzrückgang Coronabedingt war. Was passiert, wenn ein Unternehmen nicht nachweisen kann, dass sein Umsatzrückgang Coronabedingt war? Schwindl: Das hat dann drastische Auswirkungen, denn es kommt zum Fallbeileffekt: Jede Berechnung in der Schlussabrechnung ist dann hinfällig. Die Folge: Das Unternehmen muss die erhaltenen Überbrückungshilfen in voller Höhe zurückzahlen. Eine Abstufung – etwa in Form einer Teil-Rückzahlung – kommt in solchen Fällen nicht in Frage: Es gibt nur hopp oder top! Fehl-Weileder: Wichtig ist auch folgendes zu wissen: Auch Unternehmen, die die Frist für die Abgabe der Schlussabrechnung gerissen haben oder überhaupt keine Schlussabrechnung abgegeben haben, müssen die Überbrückungshilfen auf jeden Fall in voller Höhe zurückzuzahlen. Wie lange haben Unternehmen Zeit, eine Rückforderung von Corona-Hilfen zu begleichen? Schwindl: Unternehmen, die einen Bescheid über eine Rückzahlung erhalten haben, müssen diese innerhalb von sechs Monaten ab dem Datum des Schlussbescheids leisten. Es ist aber möglich, dass Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarungen für bis zu 24 Monate, im Einzelfall bis zu 36 Monate getroffen werden. Können Unternehmen gegen einen Rückzahlungsbescheid vorgehen? Schwindl: Grundsätzlich ist es für jedes Unternehmen möglich, gegen einen Rückzahlungsbescheid Widerspruch einzulegen und in der Folge zu klagen. Da die Frist für die Einreichung der Schlussabrechnung Ende September 2024 ausgelaufen ist, sind die

Bescheide zu den Schlussabrechnungen Stand Mitte Januar 2025 noch nicht flächendeckend ergangen. Das bedeutet wiederum, dass noch keine Erfahrungswerte vorhanden sind, um die Frage nach den Erfolgsaussichten von Klagen gegen Rückzahlungsbescheide zu beantworten. Fehl-Weileder: Gerade Unternehmen, deren finanzielle Situation auch ohne einen Rückzahlungsbescheid für erhaltene Corona-Hilfen bereits angespannt ist, sollten jedoch auf jeden Fall prüfen, ob das eingelegte Rechtsmittel gegen den Bescheid eine aufschiebende Wirkung hat. Eine solche Wirkung haben etwa ein Widerspruch oder eine Anfechtungsklage. Die Rückzahlungsforderung kann dann bis zur gerichtlichen Entscheidung über den Rückzahlungsbescheid von den Bewilligungsstellen nicht vollstreckt werden. Zudem führt die aufschiebende Wirkung dazu, dass der Betrag des Rückzahlungsbescheids bei der Prüfung der Frage „Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?“ nicht einbezogen werden muss. Das heißt, dass die Rückforderung damit vom Tisch ist? Schwindl: Nein, die Rückzahlungsforderung muss zwar zunächst nicht beglichen werden, jedoch ist sie auch mit einem Widerspruch oder einer Anfechtungsklage nicht automatisch vom Tisch. Vielmehr gilt die Devise „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“. Das bedeutet, dass Unternehmen, die einen Bescheid zur Rückzahlung erhalten haben, bei ihren finanziellen Planungen auf jeden Fall den kompletten Betrag berücksichtigen sollten. Fehl-Weileder: Wenn absehbar ist, dass einem Unternehmen – etwa, wenn die gerichtliche Entscheidung die Rückzahlungspflicht bestätigt – die liquiden Mittel fehlen, um die Rückzahlung vorzunehmen, müssen sie mit der rückfordernden Stelle eine Lösung finden. Gelingt ihnen das nicht, kann es sein, dass ein Unternehmen durch die Verpflichtung zur Rückzahlung von Überbrückungshilfen zahlungsunfähig wird und/oder eine Überschuldungssituation eintritt. Was sollte die Geschäftsleitung in einem solchen Fall machen? Fehl-Weileder: Die Geschäftsleitung muss dann innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Insolvenzantrag stellen, um sich vor Haftungsrisiken zu schützen. Denn seit dem Jahreswechsel 2023/2024 gilt die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang. Vereinfacht dargestellt gilt: Kann ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen, liegt die Zahlungsunfähigkeit und damit eine Insolvenzantragspflicht vor. Schwindl: Es zeigt sich, dass im Zusammenhang mit einem Rückzahlungsbescheid für Corona-Hilfen jeder Fall individuell betrachtet werden sollte – gerade, da dabei viele Faktoren eine Rolle spielen. Um im Fall der Fälle auf der sicheren Seite zu sein, ist es ratsam, auf fachliche Expertise zurückzugreifen, wenn Schlussbescheide zu Rückzahlungen und ihre möglichen Auswirkungen – Stichwort Insolvenzantragspflicht – geprüft werden müssen. NGEN: ZUM SCHLUSS! Die Interviewpartner: Dr. Elske Fehl-Weileder ist Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun. Stefan Schwindl ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei der MTG Wirtschaftskanzlei.

SER I E Lysoform Dr. Hans Rosemann steht als Marke seit 125 Jahren für hochwirksame Desinfektionsmittel und Antiseptika. Im Zuge der Corona-Pandemie geriet das Familienunternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage. Mit Hilfe eines Eigenverwaltungsverfahrens konnte Lysoform wieder auf eine gesunde wirtschaftliche Basis gestellt werden – ein entscheidender Erfolgsfaktor war dabei die zielgerichtete Zusammenarbeit zwischen Sach- und Eigenverwaltung. Der erste Teil unserer neuen Serie „Erfolgsfaktor Sanierung“. Erhalt eines 125 Jahre alten Familienunternehmens und von 65 Arbeitsplätzen – der Sanierungserfolg bei Lysoform kann sich definitiv sehen lassen. „Wir haben dieses Ziel bereits zu Beginn des Verfahrens im Oktober 2023 festgelegt und das gesamte Handeln der Geschäftsleitung und der Eigenverwaltung danach ausgerichtet. Umso schöner war und ist es, als nach elf Monaten der intensiven Sanierungsarbeit Anfang Oktober des vergangenen Jahres das Verfahren für Lysoform aufgehoben werden konnte und die Geschichte dieses traditionsreichen Unternehmens fortgeschrieben werden kann“, sagt Dr. Christoph von Wilcken von Schultze & Braun, der die Geschäftsleitung des Unternehmens mit seinem Team im Eigenverwaltungsverfahren beraten und operativ unterstützt hat. Die Gläubiger hatten den vom Unternehmen vorgelegten Insolvenzplan mit nur einer Gegenstimme angenommen. Der Plan wurde noch während des Erörterungs- und Abstimmungstermins vom zuständigen Amtsgericht BerlinCharlottenburg bestätigt. Nachdem der Bestätigungsbeschluss rechtskräftig wurde, ist das Verfahren aufgehoben worden. Geschäftsbetrieb ohne Einschränkungen Während der gesamten elf Monate des Eigenverwaltungsverfahrens lief der Geschäftsbetrieb bei Lysoform ohne Einschränkungen weiter. „Trotz der erforderlichen Einschnitte konnten wir 65 der 100 Arbeitsplätze im Unternehmen erhalten“, sagt von Wilcken. „Natürlich verliert niemand gerne seinen Arbeitsplatz. Wir konnten die Belegschaft jedoch von der Notwendigkeit der Personalanpassung überzeugen, und die Kolleginnen und Kollegen haben letztlich durch ihre Bereitschaft und ihr Engagement sehr viel dazu beigetragen, dass Lysoform fortbestehen kann.“ Die Sanierung notwendig gemacht hatten unvorhersehbar hohe Umsatzrückgänge in verschiedenen Märkten. Gerade zu Beginn der Corona-Pandemie gab EIN GEMEINSAM Über Lysoform: Die Lysoform Dr. Hans Rosemann GmbH wurde bereits im Jahr 1900 gegründet. Heute ist Lysoform weltweit bekannt als eine der großen Marken für Desinfektionsmittel. Lysoform hat sich als chemisch-pharmazeutisches Unternehmen auf den Bereich der Desinfektion und Antiseptik sowie auf die daran angrenzenden Gebiete der „Heilkosmetik“ und Reinigungshygiene spezialisiert. Das Familienunternehmen mit Sitz im Berliner Bezirk Lankwitz wird heute von der fünften Generation gelenkt. Die Produkte von Lysoform werden weltweit in zahlreichen Ländern vertrieben. Eigenverwaltung: Das Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung erlaubt einem Unternehmen die Sanierung in eigener Regie. Die Geschäftsführung bleibt voll handlungsfähig und kann uneingeschränkt agieren. Beaufsichtigt wird sie von einem vom Gericht bestellten Sachwalter. Ziel einer Eigenverwaltung ist die Sanierung des Unternehmens. Beraten und unterstützt wird die Geschäftsführung dabei von Sanierungsexperten.

es in vielen Ländern, in denen Lysoform mit seinen hochwirksamen Desinfektionsmitteln und Antiseptika vertreten ist, einen immensen Nachfrageboom nach den Produkten des Unternehmens. Lysoform hatte daraufhin die Produktionskapazitäten am Stammsitz in Berlin-Lankwitz sehr schnell erweitert, um die dringend benötigten Produkte herstellen zu können. Die regulatorischen Lockerungen für die Produktion von Desinfektionsmitteln, die im Verlauf der Pandemie in vielen Ländern erfolgt sind, haben jedoch dafür gesorgt, dass im globalen Markt ein Überangebot entstanden ist. „Durch die Qualität seiner Produkte konnte und kann Lysoform auch in diesem veränderten Markt bestehen“, erläutert von Wilcken. „Aber letztlich musste das Unternehmen reagieren und die Produktionskapazitäten und -prozesse an die veränderten Marktbedingungen anpassen. Es freut mein Team und mich, dass wir es durch den Einsatz aller Beteiligtengeschafft haben, das Unternehmen wieder auf eine gesunde wirtschaftliche Basis zu stellen und neue Chancen für Lysoform zu schaffen.“ Wolf-Christian Rödger, der Lysoform in fünfter Generation leitet, sagt rückblickend: „Die Herausforderungen waren gerade am Anfang des Verfahrens enorm. Vor allem die Arbeitsprozesse mussten deutlich vereinfacht werden. Mit Hilfe der Möglichkeiten und der Instrumente des Insolvenz- und Sanierungsrechts ist es uns gelungen, das Unternehmen so neu aufzustellen, dass wir nun positiv in die Zukunft schauen können.“ Belastbar und sehr effizient Christian Otto von hww hermann wienberg wilhelm hat als Sachwalter darauf geachtet, dass die Rechte der Gläubiger von Lysoform gewahrt wurden. „Für mich war sehr schnell klar, dass alle Beteiligten auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet haben. Das hat sich besonders in der finanziellen Planung und den Controlling-Berichten von Lysoform und der Eigenverwaltung widergespiegelt, die immer sehr belastbar waren.“ Belastbar, aber auch sehr effizient waren ebenfalls die regelmäßigen Jour fixe mit den handelnden Personen aus Unternehmen, Eigenverwaltung und Sachwaltung als zentrale Austauschmöglichkeit. „Sehr hilfreich war, dass in diesen Terminen immer auch Vertreter aus dem operativen Geschäft dabei waren. So konnten wir bei relevanten Punkten für die wirtschaftliche Entwicklung des Geschäfts immer auch direkt die operative Seite einbinden – etwa, wenn es um Projekte oder die Geschäftsentwicklung in einzelnen Bereichen ging – und dadurch längere Abstimmungsschleifen vermeiden“, sagt Sachwalter Otto, der zudem noch einen weiteren Punkt aus der Lysoform-Sanierung mitgenommen hat. „Ich stamme aus einer Medizinerfamilie, und mir wurde daher schon seit meiner Jugend die Bedeutung von Hygiene und Desinfektion vermittelt. Dabei achte ich jetzt verstärkt darauf, ob es sich um Lysoform-Produkte handelt. Man kann durchaus sagen, dass durch das Verfahren eine gewisse Markentreue entstanden ist.“ MES ZIEL SEMINARTIPP Praxis-Wissen: Sanierung – Sanieren mit IDW S 6, StaRUG und InsO Dieser Online-Lehrgang bietet die kompakte Wissensvermittlung zur Sanierung mit IDW S 6, StaRUG und InsO 31.03. - 01.04.2025, online

T E R M I N E FEBRUAR – APRIL 2025 Insolvenz und Sanierung von Krankenhausbetrieben 13.02.2025, online Cash-Pooling und Unternehmensverträge – Tipps und Strategien zur Haftungsvermeidung 21.03.2025, online Basiswissen Insolvenzrecht für SachbearbeiterInnen 26.03.2025, online Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz 28.03.2025, online Praxis-Wissen: Sanierung 31.03.2025, online 3. Bodensee Rechtstage 10. – 11.04.2025, Konstanz

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