Krise & Chance November 2024

Krise Chance präsentiert von November 2024 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz Fokussierung auf deutsche Schlüsselindustrien

Die gesetzliche Pflegeversicherung sieht sich ernsthaften finanziellen Herausforderungen gegenüber. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Pflegeversicherungen bestehe aber nicht, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Medienberichten zufolge betont. „Die Pflegeversicherung ist nicht insolvent. Ihr droht auch nicht die Insolvenz“, sagte Lauterbach. Die Bundesregierung will den zusätzlichen Liquiditätsbedarf durch gesetzliche Maßnahmen befriedigen. Eine Beitragserhöhung oder ein Zuschuss aus Steuergeldern stehen zur Diskussion. Zudem hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine größere Pflegereform angekündigt. Aber nicht nur Regierungen oder Gesundheitsminister, sondern auch Geschäftsleiter von Unternehmen sollten das Vermeiden der Zahlungsunfähigkeit im Blick haben – gerade, weil Unternehmen bei einer Liquiditätslücke nicht die Möglichkeit haben, (Pflege-)Beiträge zu erhöhen oder auf einen Zuschuss aus Steuergeldern hoffen zu können und weil den Geschäftsleitern eine strafrechtliche und zivilrechtliche Haftung droht, wenn sie nicht rechtzeitig handeln. Doch ab wann ist ein Unternehmen zahlungsunfähig? Das erläutern Stefan Höge und René Schmidt von Schultze & Braun in ihrem Beitrag „Finanzielle Schieflage und Haftungsrisiken: Welche Punkte Geschäftsleiter bei der Zahlungsunfähigkeit beachten sollten“ auf dem Blog der bundesweit vertretenen Kanzlei. Im Beitrag wird auch eingeordnet, worauf Geschäftsleiter vor dem Hintergrund der wieder in vollem Umfang geltenden Insolvenzantragspflicht bei der Überschuldung achten sollten und welche Rolle dabei eine Durchfinanzierung für die nächsten zwölf Monate spielt. Ticker Zahlungsunfähig oder (noch) nicht?

Vor 40 Jahren, im April 1984, lief „Die unendliche Geschichte“ in den deutschen Kinos an. In diesem erfolgreichen Fantasyfilm muss der junge Atréju das Land Phantasien vor dem alles verschlingenden Nichts retten. Nun ist Deutschland nicht Phantasien und unser Land und unsere Wirtschaft sehen sich nicht dem Nichts gegenüber, sondern unterschiedlichen und sich teils überlappenden Krisen – jedoch gibt es auch Gemeinsamkeiten: Wir sind gut beraten, wenn wir uns wie Atréju auch angesichts der großen Herausforderungen nicht von unserem gemeinsamen Ziel abbringen lassen. Wir können die Erfolgsgeschichte unseres Landes fortschreiben, wenn wir uns auf die Stärken besinnen, die unser Land zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt gemacht haben. Und natürlich schadet ein wenig Phantasie dabei auch nicht. In dieser Ausgabe von Krise & Chance wollen wir Impulse geben, welche Wege es gibt, Krise(n) als Chance zu begreifen. Wir haben daher mit Experten aus der Finanz- und Wirtschaftswelt gesprochen, beleuchten die aktuelle Situation, zeigen aber auch Entwicklungen, Stolperfallen und Perspektiven auf. Thomas Fürst, ehemaliger Vorstand der Sparkasse Bremen und Aufsichtsrats-Mitglied verschiedener Unternehmen, spricht im Interview darüber, warum sich ‚Made in Germany‘ seiner Ansicht nach im Sinkflug befindet und wie die wirtschaftspolitische Richtung geändert werden könnte. Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, spricht im Interview über steigende Insolvenzzahlen, den Druck auf den wirtschaftlichen Maschinenraum und die Situation im Mittelstand. Bei Michael Weber-Blank geht es um Steuerhinterziehung, Untreue, Insolvenzverschleppung sowie Kredit- oder Sozialabgabenbetrug und die negativen Schlagzeilen, die Unternehmer und Geschäftsführer mitunter im Zusammenhang damit machen. Der Partner bei der Rechtsanwaltsgesellschaft BRANDI spricht im Interview darüber, warum Unternehmer ein höheres Prozessrisiko haben. Er rät, gerade in Krisensituationen, rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und vielleicht hat der eine oder andere ja jetzt auch Lust bekommen, nach dem Blick in Krise & Chance „Die unendliche Geschichte“ (noch einmal) zu schauen. Ihr Tobias Hirte e d i t o r i a l

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt seit Monaten. Hinzu kommen vermehrt auftretende erneute Insolvenzen von Unternehmen, die bereits ein Insolvenzverfahren durchlaufen haben. Grund genug, (wieder einmal) einen Blick auf die aktuelle Entwicklung bei der Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen zu werfen. Peter Reuter, hat dies in seinem informativen Beitrag „Niedrige Sanierungsquote, hohe Nachhaltigkeitsquote“ getan. Darin geht der Chefredakteur des INDat-Reports auch auf die große Untersuchung zur Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen ein, die Schultze & Braun anlässlich des zehnten ESUG-Jubiläums 2022 gemacht hat und für den sich die Kanzlei den ZeitWie nachhaltig sind Untern Krankenhausreform – wohl kaum ein Wort polarisiert in der Gesundheitsbranche so stark. Mitte Oktober hat der Bundestag dem Gesetzesentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zugestimmt. Den Anstoß zur Reform hat die schlechte Finanzlage vieler Krankenhäuser gegeben – knapp ein Drittel der Kliniken schreiben rote Zahlen. Lauterbach rechnet damit, dass es künftig weniger, dafür aber spezialisiertere Kliniken gibt. Für die aktuell rund 1.700 Krankenhäuser gebe es bereits jetzt nicht genug Personal, viele Kliniken schrieben rote Zahlen und seien von Insolvenz bedroht, sagt der Bundesgesundheitsminister. Wichtig ist: Auch ein Insolvenzantrag bedeutet nicht, dass die Geschichte eines Krankenhauses an dieser Stelle endet. Die Insolvenz kann vielmehr die Chance auf einen Neuanfang darstellen. Hier gilt jedoch ganz klar die Devise: Je früher ein Insolvenzantrag und die Sanierung vorbereitet wird, desto größer ist die Chance auf diesen Neuanfang. Das Insolvenzrecht bietet für eine wirtschaftliche Restrukturierung und Sanierung eines Krankenhauses zahlreiche Möglichkeiten. Welche das sind, zeigen Tobias Hartwig, Dr. Ludwig J. Weber und Alexander von Saenger von Schultze & Braun im Whitepaper „Vom kranken Haus zum Krankenhaus“, das sich Interessierte auf der Healthcare-Seite der Kanzlei kostenfrei herunterladen können. Krankes Haus oder Krankenhaus? Ticker

raum vom 1. März 2012 bis zum 30. September 2021 angeschaut hat. Die Ergebnisse liefern aufschlussreiche Erkenntnisse (www.nachhaltige-unternehmenssanierung.de) – nicht nur für Sanierer und Restrukturierer, sondern auch für Unternehmen und Banken. In der Untersuchung wurde unter die Lupe genommen, wie erfolgreich und nachhaltig Sanierungen im Rahmen von Regelinsolvenzverfahren, Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren sind. Die Kernerkenntnis ist: Sowohl Regelinsolvenzverfahren als auch sogenannte ESUG-Verfahren, Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren, stehen für erfolgreiche und nachhaltige Sanierungen. nehmenssanierungen? Aller guten Dinge sind drei! Mit dem Blick auf die Leitzinssenkungen der Europäischen Zentralbank und die Pensionsverpflichtungen von Unternehmen gilt diese Devise allerdings nur sehr bedingt – zumal nach den Äußerungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde weitere Leitzinssenkungen wahrscheinlich sind. Es ist also in der Tat gut möglich, dass nun eine Zeit der sinkenden Zinsen anbricht. Für Unternehmen ist das von großer Bedeutung, da diese Änderung für sie wirtschaftlich von Nachteil sein kann. Denn durch niedrigere Zinsen steigen die finanziellen Aufwendungen für die Verpflichtungen, mit denen sie die Pensionszusagen für ihre Mitarbeitenden abdecken – eine Entwicklung, die bereits aus der Niedrigzinsphase zwischen 2008 und 2022 bekannt ist. Im Fall der Fälle können die Pensionsrückstellungen sogar zu einer bilanziellen Überschuldung des Unternehmens führen. Da die Insolvenzantragspflicht seit Jahresbeginn wieder voll greift, ist die Geschäftsleitung dann verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Insolvenzantrag zu stellen. Alexander von Saenger von Schultze & Braun ordnet im Interview auf dem Blog von Schultze & Braun ein, warum niedrigere Zinsen erhöhte finanzielle Aufwendungen für die Unternehmen bedeuten, und er erläutert den Handlungsbedarf und die Möglichkeiten für Unternehmen. Aller gute Dinge sind drei?!

Fokussierung auf deutsche Schlüssel- industrien T i tel

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Thomas Fürst, Vorstand der Sparkasse Bremen a.D., spricht im Interview darüber, warum sich ‚Made in Germany‘ seiner Ansicht nach im Sinkflug befindet und wie die wirtschaftspolitische Richtung geändert werden könnte. Herr Fürst, wie bewerten Sie die wirtschaftliche Lage in Deutschland? Fürst: Als schlecht bis sehr schlecht. Die Zahl der Insolvenzen ist in 2024 im Vergleich zum Vorjahr um etwa 14 Prozent gestiegen. Die Produktivität hat sich in den vergangenen fünf Jahren kaum noch verbessert. Das Bruttoinlandsprodukt sinkt im zweiten Jahr in Folge und wird nach Meinung führender Forschungsinstitute auch 2025 nicht ansteigen. Schauen wir auf die demografische Entwicklung, liegt die große Welle von Erwerbstätigen, die in Rente gehen, erst noch vor uns. Die transferfinanzierten Zahlungen, zum Beispiel Rente, Kranken- und Pflegeversicherung, werden das Wachstum einschränken, warnen die Wirtschaftswaisen einheitlich und empfehlen dringend Reformen. Unsere Energiepreise gehören zu den höchsten weltweit und die Ökonomen sprechen bereits von „Grünflation“. Investitionen werden ins Ausland verlagert und laut einem Bericht der OECD belegt Deutschland mit jährlich etwa 200.000 Menschen den 3. Platz in der Abwanderung qualifizierter Kräfte. Das klingt alles andere als gut. Fürst: Die Zeit, in der Deutschland das Zugpferd der europäischen Wirtschaft war, in der das Ausland voller Bewunderung auf die deutsche Mischung aus Industriekonzernen und mittelständischer Wirtschaft blickte, gehört meiner Meinung nach der Vergangenheit an. Die Gegenwart sieht aus meiner Sicht düster aus: Der Internationale Währungsfonds prognostiziert, dass Deutschland im laufenden Jahr erneut die einzige Industrienation sein wird, deren Volkswirtschaft schrumpft. Selbst das mit Sanktionen belegte Russland, das in der Ukraine einen brutalen Krieg führt, kann wieder auf ein Wirtschaftswachstum hoffen. Deutschland steckt in einer Phase der Deindustrialisierung. Lässt diese Prognose nicht das ökonomische Potential Deutschlands außer Acht? Fürst: Leider nein. Während China Milliarden in die Hand genommen hat, um in Bildung, Infrastruktur und erneuerbare Energien zu investieren, hat Deutschland versucht, mit allen Tricks am alten Geschäftsmodell festzuhalten. Die gesamte Chemieindustrie ächzt unter den Energiekosten. Der Chemiekonzern BASF plant aus Kostengründen rund 10 Prozent seiner Produktionskapazitäten in Ludwigshafen abbauen. Eine ganze Reihe von Industriekonzernen will mittlerweile ihre Produktion ins Ausland verDer Interviewpartner: Thomas Fürst war 15 Jahre im Vorstand der Sparkasse Bremen und Aufsichtsrats-Mitglied verschiedener Unternehmen. Heute betreut er Start Ups und versucht, unter anderem als Aufsichtsrats-Vorsitzender von MyEnso, das Leben auf dem Dorf mit Hilfe der Digitalisierung wieder lebenswerter zu gestalten. T i tel

lagern. Der Industriestrompreis inklusive Steuern und Umlagen lag im vergangenen Jahr bei durchschnittlich bei 26,5 Cent pro Kilowattstunde. Geht es um die Energiepreise, ist Deutschland, aber auch Europa als Industriestandort nach Ansicht von Christian Kullmann, Chef des Chemiekonzerns Evonik, schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig. Woran liegt das? Fürst: Durch die verfehlte Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte hatten wir uns einerseits von russischen Gasimporten abhängig gemacht, was nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine zu drastischen Preissteigerungen führte. Andererseits hat die deutsche Energiewende, der Ausstieg aus der Atomkraft bei gleichzeitiger die Abkehr von fossilen Energieträgern, zu einer Energieverknappung und Destabilisierung der Versorgung geführt. Die deutsche Automobilindustrie hat angesichts immer neuer Umsatzrekorde in den vergangenen Jahren versäumt, innovative neue Produkte zu entwickeln und bei Elektrofahrzeugen den Anschluss an die internationale Konkurrenz verpasst. Auch bei einer effektiven Steuerbelastung von rund 29 Prozent für Unternehmen liegt in Deutschland rund zehn Prozentpunkte über dem Durchschnitt der EU-Länder und damit im weltweiten Vergleich in der Spitzengruppe. Der Standort Deutschland und sein exportorientiertes Geschäftsmodell stehen in der Tat gehörig unter Druck. Welche Schlüsselindustrien, Ressourcen und Infrastrukturen braucht das Land, um auch langfristig ökonomisch erfolgreich zu sein? Fürst: Kurz zusammengefasst: Wir benötigen eine Fokussierung auf Schlüsselindustrien. Um für die Wirtschaft hierzulande neue Wachstumsmöglichkeiten zu erschließen, ist eine Verschiebung des wirtschaftlichen Portfolios hin zu dynamischen Zukunftsfeldern erforderlich. Ein Beispiel für ein international besonders dynamisches Feld ist der Bereich „Deep Tech“. Dazu gehören unter anderem KI, Nanotechnologie und Robotik. Auch die Bereiche Gesundheitswirtschaft – inklusive der Nutzung von KI und Biotechnologie, Feststoff-Batterietechnologie und neue Materialien wie Hochleistungslegierungen sind vielversprechend und mit den Gegebenheiten in Deutschland kompatibel. Letztendlich gibt es in fast allen Industrien Segmente, die eine gute Wachstumsdynamik haben. Durch Investitionen in solche Wachstumsfelder lassen sich auch die notwendigen Ausgaben für Bildung, Gesundheit, die Energiewende und soziale Sicherungssysteme finanzieren. Denn wir brauchen vier bis sechs Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland, um unseren Wohlstand zu sichern und die Transformation zu bewältigen. Wie sollte der Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland künftig aussehen? Fürst: Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die Kernherausforderungen für ein neues Wirtschaftswachstum definieren. Ein kleiner werdender Kuchen, der dann neu verteilt werden muss, führt zwangsläufig zu weiteren sozialen Spannungen uns Ausweichreaktionen. Wir müssen also dafür sorgen, dass der Kuchen wieder größer wird. In der Langfassung des Interviews auf dem Blog von Schultze & Braun spricht Thomas Fürst unter anderem auch über sieben Voraussetzungen, die aus seiner Sicht für eine positive Entwicklung des Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland notwendig sind.

Deutsche Wirtsch Thema Im Interview spricht Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, über steigende Insolvenzzahlen, den Druck auf den wirtschaftlichen Maschinenraum und die Situation im Mittelstand. Diese Punkte ordnet er mit Daten und Fakten der Wirtschaftsforschung ein. Herr Hantzsch, warum ist die Wirtschaftsforschung gerade in volatilen Zeiten wie diesen von besonderer Bedeutung? Hantzsch: Die Wirtschaftsforschung liefert Daten und Fakten und bildet anhand unterschiedlicher Indikatoren eine fundierte Basis für die Einordnung der wirtschaftlichen Entwicklung – in Deutschland, aber auch in Europa und der Welt. Das ist insoweit von besonderer Bedeutung, da Wirtschaft ja nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern es eine Vielzahl von Zusammenhängen und auch Wechselwirkungen gibt. Welche Indikatoren gibt es? Hantzsch: Zum einen ist da etwa das Bruttoinlandsprodukt, das anzeigt, wie viel in einem Land in einem bestimmten Zeitraum wirtschaftlich geleistet wurde. Das BIP in Deutschland ist auf Jahressicht 2023 im Vergleich zu 2022 um rund 0,2 Prozentpunkte zurückgegangen. Umgerechnet je Einwohner ergibt sich im Vergleich 2023 zu 2022 gleichwohl eine Steigerung um rund 2.500 Euro. Es gibt aber auch die Daten des Arbeitsmarkts, auf dem zum Beispiel die Arbeitslosenquote ein wichtiger Indikator ist. Die Arbeitslosenquote liegt hierzulande im September 2024 bei 6,0 Prozent und bewegt sich damit auf einem vergleichsweise hohen Niveau – wenn auch nicht so hoch wie etwa im Corona-Jahr 2020. Als Creditreform erheben wir aber auch individuelle Indikatoren – etwa zur Überschuldung von Verbrauchern, die wir in unserem Schuldneratlas veröffentlichen, aber auch zum Insolvenzgeschehen und Unternehmensschließungen. Die Insolvenz-Zahlen kennen seit Monaten nur eine Richtung – nach oben. Wie schätzen Sie die Zukunft ein. Wird die Insolvenzgefahr weiter steigen? Hantzsch: Kurze Antwort: Ja. Ich wäre aber ein schlechter Wirtschaftsforscher, wenn ich meine Antwort nicht mit Daten und Fakten belegen würde. Im ersten Halbjahr haben wir rund 10.700 Unternehmensinsolvenzen gezählt – im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 ist das ein Anstieg um knapp 25 Prozentpunkte. Betrachtet man die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen in den ersten sechs Monaten der vergangenen fünf Jahre, zeigt sich nicht nur ein ziemlich steiler Anstieg im ersten Halbjahr 2024, sondern auch eine „Insolvenzdelle“ in den Corona-Jahren 2020, 2021 und 2022 – ausgelöst durch die temporäre Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und die massiven geld- und ordnungspolitischen Eingriffe des Staates. Die aktuelle Entwicklung geht zum einen auf Nachholeffekte zurück. Andererseits sind wir mittlerweile weit über eine „Normalisierung“ des Geschehens hinaus. Hinzu kommt, dass die Insolvenzen deutlich mehr Schaden Der Interviewpartner: Patrik-Ludwig Hantzsch ist Leiter der Wirtschaftsforschung und Pressesprecher beim Verband der Vereine Creditreform in Neuss.

– Stichwort Gläubiger- und Arbeitsplätze – verursachen als früher. 40 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in Deutschland wird direkt und indirekt in der Industrie erbracht. Wie stark steht der „Maschinenraum“ der deutschen Wirtschaft unter Druck? Hantzsch: Das Besondere an der Industrie ist, dass rund ein Fünftel der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung in Deutschland derzeit direkt im verarbeitenden Gewerbe erbracht wird. Wir sprechen hierbei von rund 770 Milliarden Euro. Im Vergleich der großen fortgeschrittenen Länder hat Deutschland damit den höchsten Industrieanteil. In den anderen Industrieländern beläuft sich der direkte Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung auf teilweise deutlich unter 20 Prozent. Viele unternehmensnahe Dienstleistungsbereiche hängen zudem von der Industrie ab, weshalb wir für die Industrie eine gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung in Deutschland von 40 Prozent sehen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass Deutschland ein großes wirtschaftliches Problem hat, wenn es im Maschinenraum ein Problem gibt. Und das ist unseren Zahlen nach definitiv der Fall, man kann sogar von einem stillen Industriesterben in Deutschland sprechen, da das verarbeitende Gewerbe bei den Unternehmensschließungen ein Allzeithoch verzeichnet. Ähnlich sieht das Bild bei den Unternehmensinsolvenzen aus. Dort verzeichnen das verarbeitende Gewerbe, das Baugewerbe, der Handel und der Dienstleistungssektor beim Vergleich der Insolvenzzahlen zwischen den ersten Halbjahren 2023 und 2024 Anstiege zwischen 20, im Handel, und knapp 35 Prozent, im Dienstleistungssektor. Wie sieht die Situation im Mittelstand aus? Hantzsch: Unsere aktuellen Zahlen zeigen für das Jahr 2024 einen historischen Absturz, was die Geschäftslage, das Geschäftsklima und die Geschäftserwartungen angeht. Alle drei Indizes sind in der Herbst-Ausgabe unserer Untersuchung zur Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand im negativen Bereich. Das letzte Mal war das im Corona-Jahr 2020 der Fall – die fünf Jahre zuvor bewegten sich die Indizes im Bereich zwischen + 20 und +30. Bei den Erwartungen überwiegt die Unsicherheit, was zu einer Seitwärtsbewegung beim Blick in die Zukunft im Zusammenhang mit den Umsätzen, den Aufträgen und den Angebotspreisen führt. Gleichzeitig wären viele Mittelständler über eine Seitwärtsbewegung bei den Umsätzen froh. Zeigt sich doch in der Umsatzentwicklung im Saldo aus gestiegen und gesunken ein Minus von 6,5. Perspektivisch wird diese Entwicklung, der Trend bei der Ertragslage und dem Auftragseingang zeigt ebenfalls nach unten, auch Auswirkungen auf die Personalentwicklung und den Arbeitsmarkt haben. Unsere Herbst-Untersuchung zeigt, dass jeder neunte Betrieb Personal abbauen will. haft – quo vadis? In seinem Gastbeitrag auf dem Blog von Schultze & Braun hat Patrik-Ludwig Hantzsch Ende August 2024 die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen eingeordnet und die Besonderheiten des Anstiegs im ersten Halbjahr 2024 erläutert.

Thema Steuerhinterziehung, Untreue, Insolvenzverschleppung sowie Kredit- oder Sozialabgabenbetrug: Unternehmer und Geschäftsführer machen mitunter negative Schlagzeilen. Michael Weber-Blank spricht im Interview darüber, warum Unternehmer ein höheres Prozessrisiko haben. Er rät, gerade in Krisensituationen, rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Herr Weber-Blank, aktuell steigt die Zahl der Insolvenzen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Insolvenzstraftaten. Warum? Weber-Blank: Das ist vermutlich noch eine Folge von Corona. Die während der Pandemie zeitweise ausgesetzte Insolvenzantragspflicht greift seit dem Jahreswechsel wieder in vollem Umfang, das wirkt sich aus. Außerdem muss man wissen, dass jeder Insolvenzantrag automatisch von Amts wegen an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wird, um mögliche strafrechtliche Vorwürfe zu überprüfen. Für eine Insolvenzverschleppung reicht schon bedingter Vorsatz. Insolvenzverschleppung liegt vor, wenn ein Insolvenzantrag nicht rechtzeitig eingereicht wird. Dabei missverstehen viele Geschäftsführer die Drei Wochen-Frist in der Insolvenzordnung als eine Frist, die sie bis auf den letzten Tag ausnutzenkönnen. Tatsächlich aber müssen sie unverzüglich reagieren, wenn ein Insolvenzgrund vorliegt. Auch die tatsächliche Liquiditätslage ihrer eigenen Gesellschaft ist nicht allen Geschäftsführer immer klar. Kommt der Geschäftsführer der Insolvenzantragspflicht nicht nach, droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Wie hat sich die Situation in Bezug auf steuerliche Vergehen verändert? Weber-Blank: Wer heute Steuern in Höhe von mehr als einer Million Euro hinterzieht, muss in der Regel ins Gefängnis. Eine Bewährungsstrafe kommt nur bei besonders gewichtigen Milderungsgründen infrage. Das hat der Bundesgerichtshof in einem GrundsatzRichtig investieren, aber nicht die Freiheit!

urteil entschieden. Aber schon ein hinterzogener Betrag von mehr als 50.000 Euro gilt als schwerer Fall. Auch ein Geständnis führt nicht unbedingt zur Strafmilderung, denn wenn alle Unterlagen bereits in den Händen der Ermittlungsbehörden sind, hat das kein großes Gewicht mehr. Das gilt auch für eine Nachzahlung, mit der ja nur das abgegolten wird, was jeder sowieso leisten muss. Infolge des Zusammenbruchs der Drogeriekette Schlecker wurden die Kinder des Gründers wegen Untreue und vorsätzlichem Bankrott zu Freiheitsstrafen verurteilt. Starkoch Alfons Schuhbeck sitzt in einer JVA seine Strafe wegen Steuerhinterziehung ab. Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff musste wegen Untreue und Steuerhinterziehung in Haft. Sind Unternehmer oder Geschäftsführer krimineller als Privatpersonen? Weber-Blank: Nein, die große Mehrheit ist ehrlich und rechtschaffen. Der Eindruck, dass Unternehmer oder Geschäftsführer krimineller als Privatpersonen wären, wird leider häufig durch die mediale Berichterstattung vermittelt. Dabei gilt die Devise: Je größer das Unternehmen und je prominenter das Unternehmen, desto größer das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit. Da wird dann auch mal berichtet, obwohl keinerlei oder nur wenige Details bekannt sind. Wie ist das zu erklären? Weber-Blank: Über einen Kleinunternehmer oder eine Privatperson zu berichten, die Steuern hinterzogen haben, ist vergleichsweise langweilig. Wenn jedoch ein Prominenter für ein solches Vergehen ins Gefängnis muss, ist das für die breite Masse natürlich spannend. Durch die große Berichterstattung werden solche Fälle daher auch weitaus mehr wahrgenommen und bleiben auch lange im Gedächtnis. Wer erinnert sich nicht an Prominente, die ins Gefängnis müssen. Im Gerichtssaal haben solche Personen übrigens oft einen Prominenten-Malus. Welcher Richter möchte sich schon sagen lassen, dass er einen Prominenten besser behandelt, als den einfachen Bürger. Wer haftet bei Kapitalgesellschaften? Weber-Blank: In der Praxis sind juristische Personen – etwa die GmbH – sehr beliebt, da dort grundsätzlich nur mit dem Stamm- beziehungsweise dem Grundkapital gehaftet wird. Die Gesellschaft schirmt den Geschäftsführer zunächst von einer persönlichen Haftung ab. Verletzt dieser jedoch seine Sorgfaltspflichten oder handelt er sogar strafrechtlich relevant, haftet der Geschäftsführer für entstandene Schäden mit seinem gesamten Privatvermögen. Die Rechtsprechung hat die Organhaftung deutlich verschärft. In den letzten Jahren gab es daher eine signifikant steigende Zahl an Inanspruchnahmen von Geschäftsführern im Zusammenhang mit Insolvenzverfahren. Diese sowohl zivil- als auch strafrechtliche Haftung ist für Geschäftsführer und Vorstände ein Problem, das gerade in Fällen einer Unternehmensinsolvenz regelmäßig existenzbedrohend ist. Aber auch Rechtsanwälte und Steuerberater, die Unternehmen beraten, sowie Aufsichtsräte sollten das Risiko einer persönlichen Haftung nicht unterschätzen. Bei diesen zivil- als auch strafrechtlichen Haftungsrisiken müssten Geschäftsführer und Vorstände doch auch aus Eigeninteresse sehr vorsichtig sein. Weber-Blank: Ja, aber die Haftungsrechtsprechung der Gerichte ist mittlerweile für Geschäftsführer ohne externe Beratung kaum mehr überschaubar. Heute können selbst erfahrene Geschäftsführer oder Vorstände die Masse an Aufsichts- und Prüfungspflichten, die ihnen obliegen, ohne erfahrene rechtliche Berater nicht mehr erfüllen. Der Interviewpartner: Michael Weber-Blank begann seine berufliche Laufbahn als Finanzbeamter und war dort fünf Jahre unter anderem bei der Betriebsprüfung und der Steuerfahndung. Anschließend war er Dozent in der Steuerberaterausbildung und mehr als zehn Jahre bei einer der weltweit größten Steuer- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften tätig. Seit 2011 ist er Partner bei der Rechtsanwaltsgesellschaft BRANDI am Standort Hannover und beschäftigt sich ausschließlich mit Steuerrecht sowie Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht.

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