Krise & Chance September 2024

Krise Chance präsentiert von September 2024 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz Koste es, was es wolle!

Ticker Im ersten Halbjahr 2024 ist die Zahl der Insolvenzen in Deutschland stark gestiegen. Laut einer Analyse von Falkensteg mussten in den ersten sechs Monaten des Jahres 162 Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als zehn Millionen Euro Insolvenz anmelden. Neben der Immobilienbranche waren in den ersten sechs Monaten besonders die Automobilzulieferer mit 20 Großinsolvenzen und einem Anstieg von 66,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum betroffen. Darunter unter anderem die Eissmann Automotive Gruppe, Auto-Kabel und Franken Guss. Durch die Krise sind inzwischen auch Zulieferer, die Komponenten für Elektroautos herstellen, in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Ein Grund: Unternehmen wie Auto-Kabel oder Franken Guss haben Vorleistungen für Forschung und Entwicklung erbracht. Wegen des schleppenden Absatzes von Elektroautos müssen sie aber Auftragsstornierungen und -verschiebungen verkraften und können diese Rückgänge in der konventionellen Antriebstechnik nicht kompensieren. Hinzu kommen noch steigende Rohstoff- und Frachtkosten sowie anstehende Refinanzierungen von Corona-Krediten, die durch die derzeit hohen Zinsen und Risikoaufschläge erschwert würden. In der deutschen Automobilindustrie sollen zahlreiche Arbeitsplätze abgebaut werden. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen der Branche plant in Deutschland einen Stellenabbau, so eine Umfrage der Unternehmensberatung Horváth unter Führungskräften von Zulieferern, Autoherstellern, großen Händlern und Mobilitätsanbietern. 59 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, in Deutschland in den kommenden fünf Jahren mit einer Reduzierung der Mitarbeiterzahl zu rechnen, 14 Prozent sogar mit einer starken Reduzierung. Von einem Personalaufbau gingen dagegen nur 15 Prozent aus. Grund seien hauptsächlich der hohe Kostendruck und neue Konkurrenz vor allem aus China. Die Unternehmen investieren zwar auch kräftig in Deutschland und Westeuropa, die neuen Jobs entstehen aber zunehmend in den Regionen, in denen die Autos auch verkauft werden. Im Ergebnis werde fast überall auf der Welt Personal aufgebaut, so die Umfrage, aber eben nicht in Deutschland und Westeuropa. 75 Prozent der befragten Unternehmen wollen demnach in Indien Kapazitäten aufbauen, 60 Prozent in China und ebenso viele in Osteuropa. Auch in Nord- und Südamerika stünden die Zeichen auf Wachstum. Dennoch fließe weiter ein Großteil der Investitionen nach Deutschland, aber vor allem in die Automatisierung der Fertigungsanlagen sowie die Digitalisierung. Entsprechend schlecht fällt die Beschäftigungsbilanz aus. Automobilzulieferer: Insolvenzen im ersten Halbjahr stark gestiegen Automobilbranche: Stellenabbau in mehr als jeder zweiten Firma geplant

Die Liebe der Deutschen zum Automobil ist legendär. Denn einen Großteil ihres Wohlstands verdanken die Deutschen dem Auto. Es war der Treiber und das Symbol des Wirtschaftswunders: Wer mit dem Käfer, dem Opel Kapitän oder dem Mercedes über die Alpen nach Italien fahren konnte, der hatte es geschafft. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland insgesamt 4,1 Millionen Pkw neu gebaut. Zusätzlich wurden rund 10 Millionen Pkw deutscher Konzernmarken im Ausland produziert. Die Autokonzerne und ihre Zulieferer beschäftigen im Inland über 800 000 Menschen, insgesamt sind sogar 1,5 Millionen von der Autoindustrie abhängig. Doch Fakt ist: Die Branche steht vor einer riesigen Transformation. Der Verkehr der Zukunft soll leise, effizient und sauber sein: 15 Millionen Elektroautos will die Bundesregierung in den nächsten Jahren auf die Straße bringen. Dafür müssten jeden Monat 141.000 E-Autos zugelassen werden. Im Mai waren es aber gerade mal 30.000 – Tendenz fallend. Die Elektro-Wende zwingt auch die Automobilzulieferer sich neu zu erfinden. Viele Teile, die sie bislang gebaut haben, werden für Elektroautos nicht mehr benötigt. Und obwohl Automobilzulieferer hohen Kostendruck eigentlich gewöhnt sind, hat sich die Situation in den letzten Jahren zugespitzt und droht nun zum Ausleseprozess zu werden. Dr. Philipp Kinzler von Deloitte und Tobias Hartwig von Schultze & Braun erläutern im Interview „Koste es, was es wolle!“, welche Optionen Zulieferer beim Einsparen von Kosten haben. Hohe Zinsen, schwache Konjunktur und teure Energie zwingen aber nicht nur viele Unternehmen aus dem Automobilbereich, sondern branchenübergreifend zur Restrukturierung oder dem Marktaustritt, die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt. Im Interview „Deutschland am Scheideweg“ spricht Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, über den Standort Deutschland und darüber, was Unternehmen volatilen Zeiten tun sollten. Durch die Transformation der Antriebstechnologie steht auch der klassische Autohandel vor zahlreichen Herausforderungen. Rüdiger Bauch von Schultze & Braun resümiert im Interview „Autoh/wandel“ aktuelle Risiken und erläutert Chancen für Autohäuser in wirtschaftlich schwierigen Lagen. Ich wünsche Ihnen eine interessante und aufschlussreiche Lektüre, Ihr Tobias Hirte e d i t o r i a l

Finanzier Kreditver werden Die anhaltende Konjunkturflaute und die immer noch recht hohe Inflation verhageln nicht nur den Unternehmen die Stimmung. Das Finanzierungsklima hat sich gleichfalls eingetrübt. Eine gemeinsame Umfrage der KfW mit 17 Wirtschaftsverbänden unter Coronah Das Frist Rückzahl Die Frist für die Abgabe der Corona-Schlussabrechnungen läuft zum 30. September 2024 aus. Alle Unternehmen, die während der CoronaPandemie staatliche Hilfe erhalten haben, müssen diese einreichen. Doch Mitte Juli fehlten nach Zahlen des BundeswirtschaftsFür die 19. globale „Turnaround & Transformation“-Studie der Unternehmensberatung AlixPartners wurden weltweit mehr als 700 Anwälte, Investmentbanker, Kreditgeber, Finanzberater und andere Führungskräfte befragt, die an Restrukturierungen beteiligt sind, 165 von ihnen aus Deutschland. Das Kernergebnis der Umfrage: Die Zahl der Unternehmenskrisen dürfte weiter steigen, vor allem in Deutschland. Zugleich werde die Krisenbewältigung schwieriger werden. Ging es in den vergangenen Jahren oft darum, Kreditverträge zu verlängern oder die Finanzierungskonditionen anzupassen, reiche im Hochzinsumfeld „eine reine Finanzrestrukturierung, die keine operativen und strategischen Anpassungen umfasst“ nicht mehr aus. Vor allem für den deutschsprachigen Raum zeichnen die Befragten ein düsteres Bild und sind mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung deutlich pessimistischer gestimmt als für andere Länder. So gehen 29 Prozent davon aus, dass Deutschland zu den Regionen zählt, die im laufenden Jahr am stärksten in Bedrängnis geraten werden. Dabei rechnen 65 Prozent der deutschen Befragten damit, dass die deutsche Automobilindustrie im eigenen Land weiter unter erheblichem Druck geraten wird. Krisenbranchen müssen sich auf stürmische Zeiten einstellen Ticker

1.805 Unternehmen aller Größenklassen, Wirtschaftszweige, Rechtsformen und Regionen zeigt, dass es in diesem Frühjahr für rund 24 Prozent der Unternehmen schwierig war, an einen Kredit zu kommen. Zudem werden Firmen von Banken und Sparkassen immer häufiger gebeten Nachhaltigkeitsdaten vorzulegen. Gleichzeitig gibt es bei den Unternehmen großen Handlungsbedarf bei der Erfassung von Nachhaltigkeitskennzahlen, obwohl vier von zehn befragten Unternehmen damit rechnen, dass die Transparenzanforderungen bezüglich Nachhaltigkeit im Zuge von Kreditverhandlungen künftig zunehmen werden. Derzeit sieht sich aber nur jedes dritte Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeitskennzahlen gut oder sehr gut aufgestellt und vorbereitet. Insbesondere im Segment der größeren Unternehmen zeigen sich ausgeprägte Lücken zwischen der erwarteten Relevanz des Themas und dem Vorbereitungsstand. rungsklima: rhandlungen schwieriger ministeriums immer noch rund 300.000 Schlussabrechnungen. Unternehmen, die keine Schlussabrechnung einreichen, aber Zahlungen erhalten haben, müssen die erhaltene Hilfe in vollem Umfang zurückzahlen, erklärt Dr. Elske Fehl-Weileder von Schultze & Braun. Zu beachten sei, dass der Nachweis eines coronabedingten Umsatzrückgangs zwingend notwendig ist. Zudem ist wichtig: Bei Unternehmensverbünden darf nur ein Unternehmen die Schlussabrechnung einreichen. Und: Diese muss zwingend von einem prüfenden Dritten abgegeben werden, also einem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Die Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Stefan Schwindl von der MTG Wirtschaftskanzlei gehen davon aus, dass im Zuge der ablaufenden Frist ein Anstieg von Insolvenzen beobachtet werden kann. hilfen: tende für lungen naht

Koste es, was es wolle! T i tel

Herr Kinzler, Herr Hartwig, Sie kennen die AutomotiveBranche seit vielen Jahren und haben bei Ihren Mandaten regelmäßig mit dem Faktor Kosten zu tun. Wie hat sich der Kostendruck in den letzten Jahren gewandelt? Hartwig: Lange Zeit war es so, dass der Druck für Zulieferer – nicht nur, aber eben gerade auch im Bereich der Kosten – zyklisch zu- und wieder abnahm. Nun hat der Kostendruck aber durch die Transformation zur E-Mobilität und weitere externe Faktoren wie etwa die Material- und Rohstoffpreise und geopolitische Entwicklungen sehr stark zugenommen. Kurzum: Viele Automobilzulieferer müssen bei ihrer wirtschaftlichen Planung weitaus stärker als bislang auf Sicht fahren, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Und das bedeutet natürlich auch, dass die Unternehmen auf die Kostenbremse treten müssen – koste es, was es wolle! Kinzler: Vor allem mittlere und kleinere Zulieferer haben oftmals nicht genug finanzielle Rücklagen, um die Herausforderungen der Transformation im Antriebsbereich in Kombination mit den zahlreichen weiteren Herausforderungen wie etwa das Zinsniveau oder die Nachhaltigkeitsforderungen, um zwei weitere zu nennen, zu meistern. Unser Supplier Risk Monitor hat bereits im vergangenen Jahr gezeigt, dass nicht einmal zwei Drittel der betrachteten Zulieferer als finanziell gesund gelten können. Jeder zehnte Zulieferer wies sowohl kritische EBIT-Margen als auch eine kritische Verschuldung auf – und es ist davon auszugehen, dass sich die Situation nicht verbessert, sondern eher noch zugespitzt hat. Umso wichtiger ist es, dass die Unternehmen Kosteneinsparungen zum zentralen Thema machen und nachhaltige Einsparungen entlang der Wertschöpfungskette realisieren. Wie sollten sie dabei vorgehen? Kinzler: Auf Grund der rückläufigen Nachfrage, inklusive Verbrenner- und Batterieantrieb, sollten oben auf der Agenda ein stringentes Kostenmanagement mit transparenten Maßnahmenpaketen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und im gesamten SG&A-Bereich stehen – begleitet von einer Verbesserung der Cash- und Finanzierungssituation. Entscheidend ist es die wesentlichen Kostentreiber zu kennen, die Potenziale zu identifizieren und daraufhin zügig in die Umsetzung zu kommen. Auch wenn Automobilzulieferer hohen Kostendruck eigentlich gewöhnt sind, hat sich die Situation in den letzten Jahren zugespitzt und droht nun zum Ausleseprozess zu werden. Dr. Philipp Kinzler von Deloitte und Tobias Hartwig von Schultze & Braun erläutern im Interview, welche Optionen Zulieferer beim Einsparen von Kosten haben. T i tel

Die enge Zusammenarbeit zwischen den operativen und administrativen Bereichen und dem Finanzbereich ist dabei unabdingbar. Gibt es für Automobilzulieferer weitere Handlungsfelder? Kinzler: Der technologische Wandel durch Elektrifizierung und Digitalisierung führt dazu, dass der Kostendruck erhalten bleibt und tendenziell eher zunimmt. So wird in vielen Fällen das gesamte Geschäftsmodell der Zulieferer mit Blick auf die Kosten neu zu bewerten sein. Maßnahmen können die Vermeidung oder/und Beendigung nicht-wertschöpfender beziehungsweise redundanter Leistungen sein. Zulieferer werden ihren Fokus in der Forschung und Entwicklung darauflegen, die Herstellungskosten zu verbessern und sich als schwerer substituierbar zu machen und dabei die F&E-Kosten im Rahmen zu halten. Zudem wird die Bedeutung des Einkaufs und des Lieferantenmanagements wichtiger werden, da aufgrund der komplexen Liefer- und Beziehungsnetzwerke klassische Beschaffungshebel nicht mehr so leicht verfangen. Viele Zulieferer werden überprüfen, in welchem Umfang und welcher Geschwindigkeit sie ihre Kapazitäten anpassen können. Und wenn alle Maßnahmen zur Kostensenkung keinen Erfolg haben? Hartwig: Das deutsche Insolvenz- und Sanierungsrecht bietet zahlreiche Verfahren und Instrumente, mit denen ein Zulieferer eine operative und finanzielle Krise meistern können. Unsere Untersuchung zur Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen zeigt, dass sowohl das Regelinsolvenzverfahren als auch die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren für nachhaltige Unternehmenssanierungen stehen. Klar ist: Eine Insolvenz ist wie eine Vollbremsung. Sie kann aber, wenn sie kontrolliert und so früh wie möglich geschieht, dabei helfen, dass ein Zulieferer wirtschaftlich nicht vor die Wand fährt, sondern stattdessen die Abzweigung in Richtung des veränderten Marktes nehmen kann. Welche Rolle spielen Kosteneinsparungen in Insolvenz- und Sanierungsverfahren? Hartwig: Eine maßgebliche, bei der zusätzlich zu den bereits von Herrn Kinzler beschriebenen Maßnahmen, weitere Möglichkeiten hinzukommen. So sind durch den Vollstreckungsschutz in einem Insolvenzverfahren zum Beispiel Tilgung und Zinsen ausgesetzt und fällige Verbindlichkeiten müssen zunächst nicht beglichen werden. Somit können alle Einnahmen dafür genutzt werden, um den regulären Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Löhne und Gehälter der Mitarbeitenden in der Regel bis zu drei Monate lang durch das sogenannte Insolvenzgeld gesichert sind. Das verschafft einem Unternehmen einen zusätzlichen finanziellen Spielraum und diese Zeit kann für die Umstrukturierung und Sanierung genutzt werden. Jedoch muss man sich immer vor Augen führen, dass diese Kosteneinsparungen temporärer Natur sind. Die gewonnene Zeit muss daher genutzt werden, das Unternehmen wieder zukunftsfähig aufzustellen – oder zumindest die Grundlagen dafür zu schaffen. Das kann in einer Sanierung aus eigener Kraft, etwa über einen Insolvenzplan, aber auch durch den Einstieg eines Investors erreicht werden. Bei der Sanierung hilft aber auch, dass sich ein Unternehmen im Rahmen einer Insolvenz leichter von nachteiligen Verträgen lösen und – falls notwendig – Personalanpassungen vornehmen kann.

Deutschland am Scheideweg Thema Herr Hantzsch, wie steht die deutsche Wirtschaft derzeit da? Hantzsch: Die deutsche Wirtschaft hängt in der Stagnation – inzwischen schon im zweiten Jahr in Folge. Ökonomisch ist der ehemalige Exportweltmeister Schlusslicht in Europa. Daran hat auch der Hauch von Euphorie nichts geändert, der zwischenzeitlich während der Fußball-Europameisterschaft durchs Land wehte. Das Mini-Sommermärchen hat wie erhofft für gute Stimmung gesorgt. Sein wirtschaftlicher Beitrag war jedoch verschwindend gering. Das Handelsblatt Research Institute hat ausgerechnet, dass die ökonomischen Effekte der EM etwa 0,05 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprechen. Wohl eher keine Steilvorlage für den ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung, oder? Hantzsch: Das reicht bei Weitem nicht, um den ersehnten Aufschwung zu befeuern. Beim deutschen Fußball ist es also wie in der Wirtschaft: Grundsätzlich gut aufgestellt, mit vielen Chancen – das Ergebnis ist allerdings enttäuschend. Die Spanne der aktuellen Prognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute reicht von mageren 0,4 Prozent Wachstum, die das ifo Institut vorhersagt, bis hin zu einem leichten Minus von 0,2 Prozent, den das Handelsblatt Research Institute prognostiziert. Es bleibt dabei: Teure Energie, hohe Steuern, Fachkräftemangel, ausgeuferte Bürokratie, politische Unsicherheit und zunehmender Protektionismus treffen die deutsche Volkswirtschaft mit voller Wucht. Das klingt so, als ob die Situation für Unternehmen herausfordernd bleibt? Hantzsch: Das ist in der Tat so! Viele Unternehmen zehren ihr Eigenkapital auf und stellen Investitionen zurück, um liquide zu bleiben. Wo das nicht mehr reicht, bleibt schließlich nur noch der Gang zum Amtsgericht. Im ersten Halbjahr 2024 hat Creditreform 11.000 Unternehmensinsolvenzen registriert. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt. Hohe Zinsen, schwache Konjunktur und teure Energie zwingen viele Firmen zur Restrukturierung oder dem Marktaustritt. Im Interview spricht Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform über den Standort Deutschland und darüber, was Unternehmen volatilen Zeiten tun sollten.

Das ist ein Anstieg von fast 30 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2023, in dem es nur 8.470 Insolvenzen gegeben hat und markiert den höchsten Stand seit fast zehn Jahren. Was sehen Sie als die größten Herausforderungen für Unternehmen? Hantzsch: Gerade wenn alte, noch günstige, Finanzierungen zu neuen Konditionen abgelöst werden müssen, stoßen immer mehr Unternehmen an ihre Grenzen. In der Niedrigzinsphase wurden viele Unternehmen, die unter normalen Umständen längst hätten aufgeben müssen, durch die günstigen Finanzierungskosten künstlich am Leben erhalten. Als ZombieUnternehmen konnten sie weiterarbeiten, ohne dass sie nachhaltig Gewinn erzielen. Entsprechend fehlen ihnen die Mittel, um ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Eine Studie der Unternehmensberatung Kearney hat diese sogenannte Schuldentragfähigkeit analysiert und festgestellt: Der Anteil der ZombieUnternehmen stieg 2023 auf 6,7 Prozent – von 4,2 Prozent 2021 während der Corona-Pandemie. Welches Risiko stellen Zombieunternehmen für die Volkswirtschaft dar? Hantzsch: Das Problem ist, dass die Zombieunternehmen knappe Arbeitskräfte, Kapital und sonstige Ressourcen binden – und so die Entwicklung neuer, innovativer Unternehmen bremsen. Hier zeigt sich deutlich, dass Insolvenzen per se nichts Schlechtes sind. Würden diese Unternehmen geordnet aus dem Markt ausscheiden, stünden mehr Personal, Geld und Co. für jene zur Verfügung, die wirklich produktiv und innovativ sind. Die Arbeitsproduktivität im Land würde wieder stärker wachsen. Wie steht der Standort Deutschland da? Hantzsch: Ein Teil der aktuellen Investitions- und Produktivitätsschwäche hierzulande resultiert daraus, dass deutsche wie ausländische Unternehmen ihr Glück vermehrt im Ausland suchen. Zu hoch erscheinen ihnen im Vergleich die Lohnkosten, zu schwierig die Anstellung von Fachkräften, zu überbordend die bürokratischen Hürden in der Bundesrepublik. In einem Ranking der Stiftung Familienunternehmen, die alle zwei Jahre die Standortbedingungen in 21 Industrieländern bewertet, ist die Bundesrepublik auf den 18. Platz abgerutscht. Von 2006 bis 2014 hatte es noch für Rang neun oder zehn gereicht. Was sollten Unternehmen in diesen volatilen Zeiten tun? Hantzsch: Allen voran sollten sie ihr strategisches Risikomanagement ausbauen und ihr Kunden- und Lieferantenportfolio genau im Blick behalten. Die Zeiten sind so volatil, dass auch ein Geschäftspartner, der lange als wirtschaftlich gesund und solide galt, plötzlich in Schwierigkeiten geraten kann. In so einem Fall frühzeitig zu reagieren, liegt im ureigenen Unternehmerinteresse – auch wenn es nicht immer angenehm ist, Kunden und Partner regelmäßig neu zu bewerten. Dabei helfen Monitoring-Lösungen und Portfolioanalysen, die Ausfallrisiken ermitteln und frühzeitig anzeigen. Über die Bonität hinaus gehören dazu inzwischen auch Kennzahlen zu ESG und Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Umgekehrt sollten Unternehmen, die selbst finanziell gesund sind und sich nachhaltig aufstellen, offensiv kommunizieren, um anderen Marktteilnehmer zu signalisieren, dass man mit ihnen gute Geschäfte machen kann. In seinem Gastbeitrag auf dem Blog von Schultze & Braun ordnet Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen ein und erläutert die Besonderheiten des Anstiegs im ersten Halbjahr 2024. Seminartipp Praxis-Wissen: Sanierung In diesem praxisorientierten Online-Lehrgang lernen Sie alles Wichtige rund um die Sanierung mit jedem der drei möglichen Sanierungswege. 19. – 20.09.2024, online

Thema Herr Bauch, was sind aktuell die größten Risiken für Autohäuser? Bauch: Die Kundenbestellungen bei Autohändlern sind derzeit stark rückläufig – jedoch gibt es diese Entwicklung nicht erst seit gestern. Die hohen Preise und Leasingraten von Neufahrzeugen führen dazu, dass die Bestellungen von batterieelektrischen Fahrzeugen massiv einbrechen. Dazu kommen noch der unsichere Wiederverkaufswert und aktuell große Wertverfall der Stromer. Neue Branchenherausforderungen wie der Verbrenner-Ausstieg 2035, der Aufbau einer adäquaten Lade-Infrastruktur, die sinkende Produktion bei Zulieferern, der Wegfall der Förderung von E-Autos in Deutschland sowie neue Themen wie Datenschutz, Cybersicherheit und die Lieferschwierigkeiten bei Halbleitern belasten den Autohandel zusätzlich. Gibt es auch positive Nachrichten? Bauch: Ein wenig Hoffnung machen die NeufahrzeugBestellungen mit konventionellen Antrieben, die etwa auf Vorjahresniveau bleiben. Und die weiterhin große Nachfrage nach Fachpersonal, was darauf hindeutet, dass die Autohändler nach wie vor an Wachstumspotenziale glauben. Wir wirkt sich diese Entwicklung auf den Autohandel aus? Bauch: Lange haben die Autobauer erfolgreiche Partnerschaften mit Händlern gepflegt und Direct-toConsumer-Plattformen, sogenannte D2C-Plattformen, umgangen. Durch Wettbewerber wie BYD und Tesla werden sich die Vertriebswege in Zukunft aber voraussichtlich stärker diversifizieren. Denn das Kaufverhalten verändert sich: Der PKW-Online-Handel ist auf dem Vormarsch und die Nachfrage verändert sich weg von der Motorleistung hin zu softwaredefinierten Fahrzeugen. Gleichzeig nehmen stationär die Konzentrationsprozesse zu. Aktuell betreiben rund 6.800 Autohändler gut 36.000 Autohäuser und Werkstätten. Nach einer Studie des Instituts für Automobilwirtschaft wird die Anzahl der Autohäuser in Deutschland in den kommenden Jahren massiv abnehmen und durch Zusammenschlüsse bis 2030 auf 3.800 Autohändler sinken. Nehmen im Autohandel auch die Insolvenzen zu? Bauch: Ja, die notwendige Transformation ihrer Geschäftsmodelle ist für viele Autohändler in finanzieller wie in operativer Hinsicht eine große Herausforderung, die für einige Unternehmen zu einer existenzbedrohenden Krise werden kann. 2023 mussten 180 Autohäuser Insolvenz anmelden. Gleichzeitig stieg auch die Anzahl von Insolvenzen bei Kfz-Betrieben. Auch E-Commerce-Händler geraten in wirtschaftliche Umsatzrückgänge, Digitalisierung und Konzentrationsprozesse: Der klassische Autohandel steht vor zahlreichen Herausforderungen. Rüdiger Bauch von Schultze & Braun resümiert aktuelle Risiken und erläutert Chancen für Autohäuser in wirtschaftlich schwierigen Lagen. Autohand w

Schwierigkeiten: So hat beispielsweise gerade die tschechische Gebrauchtwagenplattform Carvago die insolvente Plattform instamotion übernommen. Wie können Autohäuser in wirtschaftlichen Schwierigkeiten reagieren? Bauch: Grundsätzlich gilt: Auch ein Insolvenzantrag bedeutet nicht automatisch das Ende eines Autohändlers. Er kann im Fall einer existenzbedrohenden Krise vielmehr eine Lösung darstellen, mit der die Geschichte eines Autohauses fortgesetzt werden kann. Worauf sollten Unternehmen bei einem Insolvenzantrag achten? Bauch: Ein kontrolliert und frühzeitig gestellter Insolvenzantrag erhöht die Chance für einen Neuanfang. So sind in einem Insolvenzverfahren – unabhängig davon, ob es sich um eine Regelinsolvenz oder eine Eigenverwaltung handelt –zum Beispiel Tilgung und Zinsen ausgesetzt und fällige Verbindlichkeiten müssen zunächst grundsätzlich nicht beglichen werden. Somit können alle Einnahmen dafür genutzt werden, den regulären Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Gibt es weitere Vorteile? Bauch: Ein weiterer Vorteil ist, dass die Löhne und Gehälter der Mitarbeitenden bis zu drei Monate lang durch das sogenannte Insolvenzgeld gesichert sind. Das verschafft einem Autohändler einen zusätzlichen finanziellen Spielraum, um das Unternehmen wieder zukunftsfähig aufzustellen. Das kann in einer Sanierung aus eigener Kraft, etwa über einen Insolvenzplan, aber auch durch den Einstieg eines Investors erreicht werden. Bei der Sanierung hilft aber auch, dass sich ein Autohändler im Rahmen einer Insolvenz leichter von nachteiligen Verträgen wie etwa langfristige Mietverträge für nicht mehr benötigte Räumlichkeiten lösen und – falls notwendig – Personalanpassungen vornehmen kann. Seit dem 1. Januar 2024 greift die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang. Was bedeutet das? Bauch: Die Erleichterungen beim Insolvenzgrund der Überschuldung sind weggefallen. Das bedeutet, dass ein Unternehmen nun wieder nachweisen können muss, dass es die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist. Ansonsten muss die Geschäftsführung einen Insolvenzantrag stellen. Überschuldet ist ein Unternehmen dann, wenn dessen Verbindlichkeiten höher als dessen Vermögen sind, dies sich auf Jahressicht nicht ändert und eine Fortführung in den nächsten zwölf Monaten als unwahrscheinlich gilt. Gleichzeitig bleibt allerdings die Zahlungsunfähigkeit der mit Abstand häufigste Insolvenzgrund. Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen sollten sich Autohändler regelmäßig mit der Frage befassen, ob ihr Unternehmen unter Umständen insolvenzreif ist – gerade auch, um Haftungsrisiken zu vermeiden. del

T e r m i n e September/ Oktober 2024 Praxis-Wissen: Sanierung 19.09.2024 - 20.09.2024, online Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz 23.09.2024, online Insolvenz & Sanierung aktueller Krisenbranchen 24.09.2024, online Leasing & Insolvenz 26.09.2024, online Basiswissen Insolvenzrecht für SachbearbeiterInnen 08.10.2024, online Update Insolvenzanfechtungsrecht 24.10.2024, online

November 2024 Professionelle Liquiditätsplanung in Krise und Insolvenz 13.11.2024, online Bilanzanalyse in Sanierungs- & Insolvenzfällen 19.11.2024, online Erfolgreiche Zwangsversteigerung von Immobilien in der Praxis 26. – 27.11.2024, online Basiswissen Insolvenzrecht 27.11.2024, online Insolvenz und Sanierung von Krankenhausbetrieben 28.11.2024, online Teilungsversteigerung 28.11.2024, online Aufsicht und Kontrolle des Insolvenzverwalters 29.11.2024, online

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