Krise & Chance August 2024

Krise Chance präsentiert von August 2024 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz Das i in insolvenz steht für individualität

Ticker Die Geschäftsbetriebe mehrerer deutscher Gesellschaften der Gienanth-Gruppe sind Anfang Juli 2024 Teil der DiHAG Integrated Foundry Group (DiHAG) geworden. Die Einigung sieht vor, dass die rund 610 Mitarbeitenden sowie die jeweiligen Unternehmensstandorte auf die DiHAG übergehen. Der Einigung waren intensive Verhandlungen im Rahmen einer zielgerichteten Investorensuche vorausgegangen, die die Gienanth-Gruppe im Zuge ihres Sanierungsverfahrens in Eigenverwaltung angestoßen hatte. Die österreichischen und tschechischen Tochtergesellschaften verkaufte die GienanthGruppe im Rahmen eines Share-Deals an die NKMS Holding (vertreten durch Dr. Markus Sarmini) sowie an Ing. Martin Niedermayr. Der Verkauf steht noch unter dem Vorbehalt einer Zustimmung durch die Gläubiger. Unterstützt wurde die Geschäftsführung der GienanthGruppe bei der Investorensuche von der Beratungsgesellschaft Roland Berger sowie dem Restrukturierungsberater und Generalbevollmächtigten Dr. Jürgen Erbe von Schultze & Braun. Die Eigenverwaltung und der Verkaufsprozess wurde von dem Sachwalter Dr. Jan Markus Plathner gemeinsam mit Christoph Enkler von der Kanzlei Brinkmann & Partner unterstützt. Die rechtliche Beratung des Verkaufsprozesses übernahm die Rechtsanwaltskanzlei Baker McKenzie federführend mit den Rechtsanwälten Joachim Ponseck und Prof. Dr. Artur M. Swierczok. Für weitere Standorte der GienanthGruppe dauern die Gespräche mit Investoren (Stand Mitte Juli 2024) noch an. Die Gienanth-Gruppe geht aktuell davon aus, dass auch hier zeitnah die passenden Lösungen gefunden werden können. Gesellschaften der GienanthGruppe erfolgreich übertragen

Wie sicher viele von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, werde auch ich im August ein paar Tage Urlaub machen. Das führt gleichwohl nicht dazu, dass Krise & Chance eine Sommerpause macht – ganz im Gegenteil: Sie können die vorliegende August-Ausgabe, in der wir wie immer drei aktuelle Themen aufgreifen und für Sie individuell einordnen, als digitale Urlaubslektüre mit an den Strand, die Berge oder auch nach Balkonien nehmen. Das individuell habe ich in diesem Zusammenhang bewusst gewählt. Denn so wie jede und jeder von uns individuelle Vorstellungen vom perfekten Urlaub hat, sind auch die Faktoren und Interessen individuell, die in Insolvenzen zum Tragen kommen. In dieser Ausgabe schauen wir uns diese individuellen Faktoren für drei Fälle an. Im Sommer 2023 – also vor nahezu einem Jahr – geriet mit Project-Immobilien einer der ersten großen Projektentwickler im Immobilienbereich in eine wirtschaftliche Schieflage und musste für über 100 seiner Projektgesellschaften Insolvenzanträge stellen. Volker Böhm, der bei den meisten dieser Gesellschaften als Insolvenzverwalter tätig ist, konnte in dieser Immobilien-Großinsolvenz unter anderem mit dem Nürnberger Modell eine Lösung finden, die die individuellen Interessen der Beteiligten berücksichtigt. Individuelle Interessen sind auch bei einer möglichen wirtschaftlichen Schieflage einer Bank oder eines Versicherers tangiert – etwa die der Bankkunden oder der Versicherten. Um diese zu schützen hat die EU nun neue Regeln für die Sanierung und Abwicklung von Versicherern verabschiedet. Im Bankenbereich ist eine solche Richtlinie bereits seit 2015 in Kraft. Dr. Dietmar Haffa spricht im Interview über die branchenspezifischen Besonderheiten und ordnet die Optionen ein, um mit möglichen wirtschaftlichen Schieflagen von Versicherern, aber auch von Banken in Deutschland umzugehen. Mit wirtschaftliche Schieflagen müssen auch Selbstständige und Freiberufler umgehen. Gerade bei Zweiteren spielen aber zwei individuelle Faktoren eine wichtige Rolle: Der Grund für die Schieflage liegt in der Regel nicht in der eigentlichen freiberuflichen Tätigkeit – die Chancen für eine Sanierung mit Hilfe des Insolvenzrechts stehen daher eigentlich gut – wäre da nicht der zweite individuelle Faktor: Die Sorge um die Zulassung. Alexander Eggen zeigt in seinem Beitrag, wie dieser Sorge mit einem Insolvenzplan als individuellem Sanierungsinstrument begegnet werden kann Ich wünsche Ihnen eine interessante und aufschlussreiche (Urlaubs-)Lektüre, Ihr Tobias Hirte e d i t o r i a l

Auf den deutschen Kreditmarkt kommen stürmische Zeiten zu – so lassen sich die Ergebnisse der aktuellen Ausgabe des NPL-Barometers der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) und der Frankfurt School of Finance & Management kurz zusammenfassen. Mit einem Gesamtklima-Wert von 0,45 liegt das aktuelle NPL-Barometer nur knapp unter dem Rekord von 0,46 aus dem Herbst 2023. „Sowohl der Lage- als auch der Erwartungswert deuten auf steigende NPL-Bestände, sinkende Verkaufspreise und eine Zunahme von Portfolioverkäufen und Auslagerungen hin“, sagt Jürgen Sonder, der Präsident der BKS. In ihrem Beitrag „Kreditrisiken frühzeitig und proaktiv begegnen“ auf dem Blog von Schultze & Braun erläutern Sonder und Dr. Ludwig J. Weber von Schultze & Braun wie Finanzierer und Investoren vom Verkauf von NPL-Portfolios profitieren und worauf sie dabei achten sollten – auch angesichts der steigenden Insolvenzzahlen. Das Gesamtvolumen der NPLs in deutschen Bankbilanzen wird laut Prognosen bis Ende 2024 auf über 40 Milliarden Euro ansteigen. Zuletzt meldete die European Banking Authority (EBA) für März 2024 NPLBestände in deutschen Banken in Höhe von 39,8 Milliarden Euro – ein Anstieg um acht Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr. Ticker Das StaRUG sieht seit nunmehr zwei Jahren (17. Juli 2022) die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung eines Restrukturierungsvorhabens vor, wonach insbesondere eine in Deutschland erreichte Gestaltung von Gläubigerrechten mittels eines Restrukturierungsplans über die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) auch gegen planbetroffene Gläubiger in anderen EU-Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden kann. Die damit verbundene grenzüberschreitende Rechtssicherheit ist für deutsche Unternehmen in der präventiven Restrukturierung von genauso großer Bedeutung wie bei den Regelinsolvenz- und Eigenverwaltungsverfahren, für die die EuInsVO bereits seit dem 31. Mai 2002 in der EU die verfahrensrechtStaRUG: Zwei Jahre EU-weite NPL-Barometer: Rekordstand notleidender Kredite in Sicht

Inzwischen seit über einem Jahr – zum 30. Juni 2023 – sind die Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld ausgelaufen – und das trotz der ausbleibenden wirtschaftlichen Erholung. Gerade während der CoronaPandemie haben viele Unternehmen von diesen Erleichterungen profitiert und manches Unternehmen wäre ohne die Möglichkeit der Kurzarbeit sicherlich nicht mehr am Markt. Auch wenn die Kurzarbeit in der Industrie in Deutschland nach einer aktuellen Umfrage des ifo-Instituts von den Rekordständen der Corona-Zeit zwar weit entfernt sei, liege sie derzeit auf erhöhtem Niveau. Nach wie vor stehen zudem die Überprüfungen von beantragtem und vorläufig bewilligtem Kurzarbeitergeld an – etwa aus der Zeit der Corona-Pandemie. Alexander von Saenger und Joachim Zobel erläutern in ihrem Beitrag auf dem Blog von Schultze & Braun, worauf Unternehmen dabei achten sollten. automatische Anerkennung liche Grundlage bildet. Denn die deutsche Wirtschaft ist traditionell stark exportorientiert. Viele deutsche Unternehmen unterhalten Lieferbeziehungen oder haben Niederlassungen und Vermögen in einem oder mehreren der insgesamt 27 EU-Mitgliedsstaaten. Victoire Mengin und Dr. Johannes Heck erläutern in ihrem Beitrag auf dem Blog von Schultze & Braun, warum die EU-weite Anerkennung von StaRUGRestrukturierungen via EuInsVO und die daraus resultierende Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen von Vorteil sind und welche Besonderheiten sie beachten sollten. Damoklesschwert Kurzarbeit

Das Nürnberge Modell T i tel

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Vor knapp einem Jahr wurden Volker Böhm von Schultze & Braun und sein Team mit der Insolvenz der Project-Gruppe betraut und mussten Lösungen für die zahlreichen Projekte des Immobilienentwicklers mit Sitz in Nürnberg zu suchen. Das Unternehmen war im Sommer 2023 als einer der ersten großen Projektentwickler in finanzielle Schwierigkeiten geraten und hatte für die Vielzahl seiner Projektgesellschaften Insolvenzanträge gestellt. Insgesamt hatte Project Immobilien rund eine Milliarde Euro deutschlandweit in rund 120 Projekte investiert – alle in eigenen Gesellschaften und in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Die ersten Schritte „Der erste Schritt war, dass wir uns einen Überblick über die wirtschaftliche Situation der operativen Gesellschaften, bei denen rund 500 Mitarbeitende beschäftigt waren, verschafft haben und ihre weitere Handlungsfähigkeit sichergestellt haben. Dann haben wir uns die einzelnen Projekte angeschaut, Cluster gebildet, um für die jeweilige Projektsituation eine Lösung zu entwickeln“, sagt der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht. „Das war schon aufgrund der schieren Projektanzahl nicht einfach. Hinzu kam, dass nahezu keine Gesellschaft über nennenswerte Liquidität verfügte. Da bei Project finanzierungseitig keine Banken involviert sind, gab es auch keine Verfahrensbeteiligten, die uns einen Massekredit gegeben hätten, um notwendige Sicherungsmaßnahmen durchzuführen.“ Das Kapital für die Bauprojekte war bei Project über Fonds am Kapitalmarkt eingesammelt worden. Dadurch entstand eine heterogene und kaum überschaubare Gruppe von Beteiligten und damit eine für Sanierungsmaßnahmen grundsätzlich eher ungünstige Struktur. „Das hat die Suche nach Lösungen für die Projekte in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien natürlich nicht einfacher gemacht“, sagt Böhm. Die erste Wahl Vergleichsweise einfach war die Entscheidung bei reinen Grundstücken, oder wenn der Verkaufsstand der Immobilien und der Projektstand noch ziemlich am Anfang war. In solchen Fällen war der Verkauf die erste Wahl. „Dafür haben wir, wenn bereits einzelne Wohnungen verkauft waren, den Käufern die Rückabwicklung angeboten. Das hört sich aber leichter an, als es tatsächlich ist: Schließlich musste gewährleistet sein, dass die Käufer aus dem Kaufpreis bereits geleistete Zahlungen zurückerhielten und sich der Verkauf für die Gläubiger trotzdem rechnete“, sagt Böhm. „Mit dem strukturierten Verkaufsprozess haben wir zwei Makler beauftragt, und wir konnten inzwischen bereits einige Grundstücke veräußern.“ Die Krise der Immobilienbranche wird noch eine ganze Zeit andauern. Schwierig ist die Lage gerade bei den Immobilienentwicklern. Umso wichtiger ist es, den Blick darauf zu richten, welche Lösungen es für die Vermögenswerte und Immobilienprojekte im Falle einer Insolvenz gibt. T i tel

Risiko Totalverlust Eine weit schwierigere Frage war, wie man ImmobilienProjekte ohne Liquidität weiterbaut und einen Konsens bei nervösen Käufern und Handwerkern, die seit Monaten kein Geld mehr bekommen haben schafft. „Für die Insolvenzverwaltung stand von Anfang an im Fokus diese Bauprojekte mit den rund 1.000 Wohnungskäufern möglichst zum Abschluss zu bringen. Wenn diese Projekte nicht durch den Insolvenzverwalter weitergebaut werden können, besteht die konkrete Gefahr, dass die Projekte als Bauruinen enden.“ „Die entscheidende Frage bei solchen Projekten lautet: Reichen die noch offenen Kaufpreise in Summe aus um, die Kosten für die Fertigstellung zu decken? Grundsätzlich gilt: Wann immer es wirtschaftlich sinnvoll und organisatorisch vertretbar ist, ist es für die Käufer, die Anleger, aber auch für die Insolvenzverwaltung die beste Lösung, die Objekte zu Ende zu bauen“, sagt Böhm. „Um diese Lösung zu erreichen, haben wir uns mit den Wohnungskäufern, pro Projekt reden wir hier über 60 bis 140 Beteiligte, und Bauunternehmen abgestimmt: Wir haben Generalunternehmer gesucht, die die Projekte zum Festpreis fertig bauen und die Gewährleistung in vollem Umfang übernehmen. Das war wiederum für die Wohnungskäufer die wesentliche Voraussetzung. Sie bekamen mit diesem Nürnberger Modell die Sicherheit, dass ihre Wohnung fertig gebaut wird, sie nicht mehr bezahlen müssen und sie nicht auf einer Bauruine sitzen bleiben. Im Gegenzug haben die Wohnungskäufer neue Fertigstellungstermine akzeptiert und auf ihre Schadenersatzansprüche aus der insolvenzbedingten Bauverzögerung verzichtet.“ Die noch offenen Kaufpreisraten zahlen sie auf ein Treuhandkonto, das vom Insolvenzverwalter verwaltet wird. Auszahlungen daraus erfolgen ausschließlich zur Finanzierung des Weiterbaus. Auf diese Weise gehen die Wohnungskäufer, aber auch die Generalunternehmer kein finanzielles Risiko ein. Für sie ist am Nürnberger Modell zudem positiv, dass sie ihre Auftragsbücher mit den Projekten füllen und gefüllt halten können. Die jeweils beste Lösung Es gab aber auch Projekte, bei denen der Bau bereits so weit fortgeschritten war, dass eine Fertigstellung im Insolvenzverfahren wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll war. „Wir haben die Wohnungskäufer aber auch bei diesen Projekten nicht im Regen stehen lassen und bei solchen Projekten die Möglichkeiten geschaffen, dass die Eigentümergemeinschaften die Restarbeiten selbst beauftragen können – etwa, indem wir ihnen alle notwendigen Unterlagen überlassen haben und falls gewünscht Kontakte zu entsprechenden Bau- und Handwerksunternehmen vermittelt haben. Am Ende haben wir bei nahezu allen Projekten von ProjektImmobilien eine Lösung anbieten können – bei den im Bau befindlichen, den fast abgeschlossenen und auch den reinen Grundstücken“, fasst Böhm den Erfolg der Insolvenzverwaltung von Project-Immobilien zusammen. Seminartipp Sie möchten mehr in Bezug auf erfolgreiche Restrukturierungen in aktuellen Krisenbranchen erfahren? Dann sollten Sie unsere Fachtagung am 24.09.24 nicht verpassen!

Für den Ernstfall gut aufgestellt Thema Herr Haffa, 1974 wurde die deutsche Herstatt-Bank von der Aufsichtsbehörde geschlossen – ein Hallo WachMoment der Bankenregulierung – in Deutschland, aber auch in Europa. Ist die Geschichte der Bankenregulierung auch eine Geschichte von Bankenkrisen? Haffa: Ja. Die Schließung der Herstatt-Bank vor 50 Jahren verursachte Schockwellen und Schlagzeilen, die um die Welt gingen. Als Folge wurde in Deutschland der Einlagensicherungsfonds gegründet. Und die Zentralbankchefs der wichtigsten Volkswirtschaften arbeiteten Ende der 1980er Jahre den ersten „Basel Capital Accord“ aus, in Deutschland bekannt als „Basel I“. Darauf folgten dann „Basel II“ und schließlich „Basel III“. Mit der Finanzkrise von 2007/08 rückten auf internationaler, aber auch auf nationaler Ebene sowohl Eigenkapital als auch Liquidität stärker in den Fokus. Geraten Banken in eine wirtschaftliche Schieflage, kommen branchenspezifische Besonderheiten zum Tragen. Warum? Haffa: Wegen ihrer zentralen und systemrelevanten Bedeutung. Die Grundidee ist nicht, das Geschäft einzustellen und die Erlöse aus der Veräußerung des noch vorhandenen Vermögens an die Gläubiger der Bank zu verteilen, wie es etwa bei einem Insolvenzverfahren der Fall wäre. Stattdessen geht es darum, die Bank durch den Einsatz von Sanierungs- und Abwicklungsinstrumenten zu stabilisieren und ihre kritischen Funktionen aufrechtzuerhalten. Diese sind dann weiterhin für die Realwirtschaft verfügbar. Auf diese Weise sollen von der Krise der Bank möglichst keine Gefahren für die Finanzmarktstabilität ausgehen. Die EU hat nun neue Regeln für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen verabschiedet. Was verändert sich? Haffa: Bei Versicherern steht der Schutz der Versicherungsnehmer im Vordergrund. Mit diesem Ziel hat das Europäische Parlament Ende April 2024 den Weg für den Aufsichtsrahmen Solvency II frei gemacht. Zu Solvency II gehört auch die IRRD-Richtlinie mit Regeln für die Sanierung und Abwicklung von Versicherern und Rückversicherern in der EU. Nun haben Die EU hat neue Regeln für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen auf den Weg gebracht. Dr. Dietmar Haffa von Schultze & Braun, spricht im Interview über die branchenspezifischen Besonderheiten und ordnet die Optionen ein, um mit möglichen wirtschaftlichen Schieflagen von Versicherern, aber auch von Banken in Deutschland umzugehen.

die EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit zur Umsetzung der Regelwerke in nationales Recht. Versicherern scheinen seltener in eine Schieflage zu geraten als Banken. Haffa: Ja, wobei auch für Versicherer die Risiken größer werden – etwa durch den Klimawandel und Naturkatastrophen. So belaufen sich laut Munich Re die Gesamtschäden durch Naturkatastrophen allein im Jahr 2023 auf 250 Milliarden US-Dollar. Die Verabschiedung der IRRD-Richtlinie und die damit verbundene Vorbereitung auf eine mögliche wirtschaftliche Schieflage von Versicherern ist deshalb ein guter und wichtiger Schritt. Die Kapitalausstattung deutscher Versicherer ist nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft aber sehr gut. Im Branchenmittel betrug sie 2023 zum Jahresende 305 Prozent. Die EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten ist seit 2015 in Kraft. Wann wurde das Instrument angewendet? Haffa: In Deutschland bislang noch nicht. Bei den wenigen Banken, die hierzulande in den vergangenen Jahren in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind, wurde ein geordneter Marktaustritt im Rahmen einer Liquidation der Gesellschaft oder mit den Instrumenten des deutschen Insolvenzrechts erreicht. Welche Behörde ist für Banken und Versicherer zuständig? Haffa: Als Aufsichtsbehörde darf ausschließlich die BaFin einen Versicherer oder eine Bank schließen oder einen Insolvenzantrag gegen sie stellen. Gerät etwa eine Bank in eine wirtschaftliche Schieflage verhängt die BaFin in der Regel zunächst ein Moratorium, durch das die Bank ihren Geschäftsbetrieb einstellen muss. Durch das Moratorium ist es möglich, zu prüfen, ob das Institut wirtschaftlich noch gesund genug ist, um seinen Betrieb gegebenenfalls mit Unterstützung Dritter wieder aufnehmen zu können. Was passiert, wenn das nicht der Fall ist? Haffa: Ist die Fortführungsprognose für die Bank negativ, kommt es nach einem Moratorium in der Regel zur anschließenden Insolvenz des Instituts. Die Einlagen der Kunden selbst sind durch die gesetzliche Einlagensicherung abgesichert, und die Kunden werden – nach Feststellung des sogenannten Entschädigungsfalls durch die BaFin – entsprechend bis zu einer Summe von 100.000 Euro pro Kunde entschädigt. Darüber hinaus bestehen freiwillige Einlagensicherungssysteme, die der Höhe nach allerdings begrenzt auch größere Einlagen absichern. Wie bewerten Sie die Möglichkeiten hierzulande, einer möglichen Schieflage von Banken oder Versicherern zu begegnen? Haffa: Insgesamt zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass Deutschland mit den Maßnahmen auf EU-Ebene sowie den Möglichkeiten und gesetzlichen Regelungen einer Gesellschafts-Liquidation und des nationalen Insolvenzrechts für mögliche wirtschaftliche Schieflagen von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, aber auch von Kreditinstituten gut aufgestellt ist.

Thema Schnelligkei Freiberufler geraten selten aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit in eine finanzielle Schieflage, sondern zumeist aufgrund äußerer Umstände. Das können eine Scheidung oder der Ausstieg aus der gemeinsam geführten Kanzlei, Apotheke oder Praxis, aber auch eine Investition sein, die sich nicht rentiert hat. Im Umkehrschluss bedeutet das: Gerade bei akademisch ausgebildeten Freiberuflern ist es in der Regel so, dass ihre originäre berufliche Tätigkeit kostendeckend ist. „Die Voraussetzungen für einen finanziellen Neustart mit Hilfe der Instrumente des Insolvenzrechts sind also grundsätzlich gut“, sagt Alexander Eggen von Schultze & Braun. „Wenn da nur nicht die Sorge um die Zulassung wäre, mit der die berufliche Existenz von Freiberuflern immer verknüpft ist.“ Zulassung adieu? Denn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Freiberuflers stellt einen sogenannten Vermögensverfall dar. In den meisten Berufsordnungen führt ein Vermögensverfall dazu, dass dem Freiberufler die Zulassung widerrufen wird. Es wird in einem solchen Fall davon ausgegangen, dass der Freiberufler seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann und er damit die Interessen seiner Kunden, Mandanten oder Patienten gefährdet. „Es gibt allerdings Wege, für einen Freiberufler, seine Zulassung in einem Insolvenzverfahren zu erhalten. Dabei gilt jedoch die Devise: Schnelligkeit ist Trumpf“, sagt Eggen, der den Frankfurter Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei leitet. „Die Chance für den betroffenen Freiberufler besteht darin, dass er es schafft, seine Vermögensverhältnisse schneller wieder zu ordnen als die jeweiligen Gremien über den Entzug der Zulassung entscheiden.“ Basis dafür ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (AnwZ (Brfg) 39/21). Der Senat für Anwaltssachen knüpft in der Entscheidung, die zwar bereits von Mitte April 2022 stammt, aber nach wie vor von großer Bedeutung ist, die Feststellung des Vermögensverfalls wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens. „Die Entscheidung besagt, dass mit dem Blick auf die Zulassung eines Freiberuflers als Zeitpunkt allein der Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens relevant ist – also der Erlass des Widerspruchsbescheids oder der Ausspruch der Widerrufsverfügung“, ordnet Eggen ein. Dem Widerruf der Zulassung die Grundlage entziehen Im Fall, um den es vor dem BGH ging, lagen zwischen der Eröffnung des Verfahrens und dem Widerruf der Zulassung fast fünf Monate. Ein Zeitraum, in dem es durchaus möglich ist, einen Insolvenzplan zu erstellen und bestätigen zu lassen. Damit wäre dem Widerruf der Zulassung des Freiberuflers die Grundlage entzogen, da seine Vermögensverhältnisse neu geordnet gewesen wären. „Ein Insolvenzplan, der schnell erstellt und vom Insolvenzgericht bestätigt wird, kann also den Widerruf der Zulassung eines Freiberuflers trotz der Wirkung des Insolvenzverfahrens verhindern“, sagt Eggen, der bereits zahlreiche Freiberufler und Selbstständige in ihren Insolvenzverfahren begleitet hat. „Hier zeigt sich das große gestalterische Potential des Sanierungsinstruments Insolvenzplan.“ Zusätzlich zum Erhalt der Zulassung kann mit dem Geraten Anwälte, Apotheker, Ärzte, Versicherungsmakler oder Zahnärzte in finanzielle Schwierigkeiten ist der Erhalt der Zulassung von maßgeblicher Bedeutung. Alexander Eggen von Schultze & Braun erläutert, wie ein Insolvenzplan Freiberufler vor dem Verlust der Zulassung bewahren kann.

it ist Trumpf! Insolvenzplan auch der Reputationsschaden für den Freiberuflers minimiert werden. Vom Insolvenzplan profitieren aber auch die Gläubiger. Mit Erhalt seiner Zulassung kann der Freiberufler seine berufliche Tätigkeit fortsetzen und dadurch zu einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung beitragen. Will oder muss der Freiberufler seine Geschäftstätigkeit im Rahmen der Insolvenz einstellen, kommen beim Insolvenzplan ebenfalls Besonderheiten zum Tragen (siehe Kastentext). Wenn Verluste besser als Gewinne sind Bei Selbstständigen liegt – wie auch bei Freiberuflern – keine Trennung von geschäftlichem und privatem Vermögen vor. Dies stellt in der Insolvenz ein besonderes Risiko dar. Denn für die Schulden haften der Selbstständige und der Freiberufler dann mit ihrem gesamten Vermögen. Aber auch, wenn eine Insolvenz unumgänglich sein sollte, gibt es Sanierungsverfahren und -instrumente, mit denen man sich finanziell neu aufstellen und sich mit seinen Gläubigern einigen kann. Eines davon ist der Insolvenzplan, mit dem eine Sanierung grundsätzlich in wenigen Monaten möglich ist – und mit dem auch die Zulassung eines Freiberuflers erhalten werden kann (siehe Beitragstext). Jedoch gibt es bei Selbstständigen und Freiberuflern im Zusammenhang mit dem Insolvenzplan eine Besonderheit, die dann zum Tragen kommt, wenn sie ihre Geschäftstätigkeit im Zuge der Insolvenz einstellen wollen oder müssen. Denn dann kann es sein, dass die Finanzbehörden sogenannte Sanierungsgewinne aufgrund einer Gesetzeslücke steuerlich geltend machen, da Insolvenzpläne für Selbständige unter bestimmten Voraussetzungen im Einkommensteuergesetz nicht steuerbefreit sind, weil dann keine unternehmensbezogene Sanierung vorliegt. Auf dem Blog von Schultze & Braun erläutert Rechtsanwalt Alexander Eggen im Interview, worauf Selbstständige und Freiberufler in einem solchen Fall achten sollten und welche entscheidende Rolle in diesem Zusammenhang Verlustvorträge spielen.

T e r m i n e August – Oktober 2024 Insolvenztabelle 29.08.2024, online Praxis-Wissen: Sanierung 19.09.2024 - 20.09.2024, online Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz 23.09.2024, online Insolvenz & Sanierung aktueller Krisenbranchen 24.09.2024, online Leasing & Insolvenz 26.09.2024, online Basiswissen Insolvenzrecht für SachbearbeiterInnen 08.10.2024, online Update Insolvenzanfechtungsrecht 24.10.2024, online

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