Krise & Chance Juli 2024

Krise Chance präsentiert von Juli 2024 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz Insolvenzanfechtung: Die spinnen, die Römer!

Ticker Insolvenzplanverfahren erfolgreich abgeschlossen Die Möglichkeiten des Insolvenz- und Sanierungsrechts zum Vorteil aller eingesetzt – so lässt sich die Sanierung des ASB-Regionalverbands Erlangen-Höchstadt e.V. in wenigen Worten zusammenfassen. Seit vor wenigen Wochen die sogenannte Überwachung des Insolvenzplans vom Amtsgericht in Fürth aufgehoben wurde, kann sich der Verband nun endgültig wieder voll und ganz auf seine Angebote im sozialen und karitativen Bereich fokussieren. „Der ASB-Regionalverband ist ein wichtiger Bestandteil des sozialen und karitativen Lebens in der Stadt Erlangen und dem Landkreis Höchstadt“, sagt Volker Böhm von Schultze & Braun, der die Sanierung des Verbandes als Insolvenzverwalter begleitet und den Insolvenzplan erstellt hatte. „Die Entwicklung, die der Verband seit dem Insolvenzantrag im September 2019 genommen hat, zeigt, welche Möglichkeiten das Insolvenz- und Sanierungsrecht auch im sozialen und karitativen Bereich bietet. Es freut mich sehr, dass wir dazu beitragen konnten, dass der ASB-Regionalverband Erlangen-Höchstadt seine wichtigen Aufgaben weiterhin erfüllen kann.“ Böhm beaufsichtigt derzeit unter anderem als gerichtlich bestellter Sachwalter die Sanierung des Diakonievereins Amberg. Im Interview in dieser Ausgabe sprechen er und Dr. Dirk Herzig von Schultze & Braun über die Besonderheiten und die Erfolgsfaktoren von Sanierungen im sozialen Bereich. Foto: www.asb-erlangen.de

Als ich diese Zeilen schrieb, hatte die Sonne – auch wenn man sie aufgrund der mitunter dichten Wolkendecke mancherorts gar nicht sehen konnte – die größte Mittagshöhe über dem Horizont. Der sogenannte Sommerpunkt wird auf der Nordhalbkugel der Erde am 20., 21. oder 22. Juni erreicht. Vielerorts wird die damit verbundene Sommersonnenwende gefeiert. Da liegt die Vermutung nahe, dass es – die Sonne steht ja am höchsten am Mittagshimmel – rund um die Sommersonnenwende besonders warm ist. Jedoch liegen die wärmsten Tage des Jahres meist im Juli oder August. Denn nicht nur der Sonnenstand bestimmt, wie warm es wird, sondern auch der Ort. So speichern die Ozeane und auch das Land viel Wärme, die sie über den Winter verloren haben und geben sie erst mit Verzögerung wieder ab. Um etwas, das man erhalten hat, aber später unter Umständen wieder abgeben muss, geht es auch im Titelthema dieser Ausgabe. Karsten Kiesel erläutert, warum die Grundzüge der Insolvenzanfechtung, die aus dem römischen Recht stammen, auch heute noch Gültigkeit haben und wie sich die Anfechtung gerade im Laufe der letzten Jahre gewandelt hat. Gewandelt haben sich auch die Herausforderungen für Unternehmen, weshalb der Bedarf an Restrukturierungen und Sanierungen steigt. Als bewährtes und präventiv einsetzbares Instrument an der Schnittstelle zwischen Krise und Insolvenz kann eine doppelseitige Treuhand dabei helfen, Sanierungskonzepte umzusetzen und Insolvenzen zu vermeiden. Dr. Alexandra Josko de Marx und Dr. Roland Fendel erläutern im Interview, worauf Unternehmen und Finanzierer achten sollten. Vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen stehen neben Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern derzeit auch Unternehmen und Vereine aus der Sozialwirtschaft. Volker Böhm und Dr. Dirk Herzig sprechen im Interview über die Besonderheiten und die Erfolgsfaktoren von Sanierungen im sozialen Bereich. Ich wünsche Ihnen eine interessante und aufschlussreiche Lektüre, Ihr Tobias Hirte e d i t o r i a l

Die Angebote des Autismuszentrums Chemnitz inklusive der Außenstelle Annaberg-Buchholz bleiben dauerhaft und vollständig erhalten. Der Insolvenzverwalter des Trägervereins autismus Chemnitz e.V., Dr. Dirk Herzig vom Chemnitzer Standort von Schultze & Braun und die beiden Geschäftsführer der gemeinnützigen SFZ Förderzentrum gGmbH, Axel Brückom und Dirk Glowka, haben einen entsprechenden Kaufvertrag unterzeichnet. Die Übernahme erfolgte mit Wirkung zum 1. Juni 2024. Der Geschäftsbetrieb des Autismuszentrums in Chemnitz sowie der Außenstelle in Annaberg-Buchholz wird ohne Einschränkungen fortgeführt. Die rund 70 Arbeitsplätze und die Förderangebote für rund 800 Betroffene bleiben erhalten. „Man kann die Arbeit, die die Mitarbeitenden des Vereins hier geleistet haben, nicht hoch genug einschätzen. Daher war es mir von Beginn an ein persönliches Anliegen, eine Lösung zu finden, die den Fortbestand der Tätigkeit für die Betroffenen, deren Eltern und Angehörige gewährleistet. Ich bedanke mich bei allen, die an dieser Lösung so konstruktiv und zielführend mitgewirkt haben. Wir haben trotz der HerausTicker Die Deutsche Steinzeug Cremer & Breuer AG und die Agrob Buchtal GmbH haben einen Investor gefunden. Die Meta Wolf AG steigt als strategischer Partner beim größten deutschen Baukeramik-Hersteller ein. Die entsprechende Vereinbarung markiert einen bedeutenden Schritt zur Fortführung des traditionsreichen Keramikunternehmens und sichert rund 700 Arbeitsplätze und die Zukunft aller vier Produktionsstandorte. Die Investitionssumme liegt im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich. Durch die Übernahme wird die Deutsche Steinzeug nach Beendigung des Sanierungsprozesses entschuldet sein. Ein Team von Schultze & Braun um Detlef Specovius und Michael Böhner hat die Sanierung und die erfolgreiche Suche nach einem Investor unterstützt. Specovius und Böhner hatten mit den Insolvenzanträgen die Rolle der Generalbevollmächtigten und insolvenzrechtlichen Berater der UnternehmensfühRund 700 Arbeitsplätze und alle Produktionsstandorte gesichert Übernahmelösung für Autismuszentren gefunde Foto: autismuszentrum-chemnitz.de

Die Schmidt GmbH & Co. KG - Dachdeckerei mit Sitz im niedersächsischen Lehrte hat Mitte Juni 2024 Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Das Amtsgericht Gifhorn bestellte Tobias Hartwig von Schultze & Braun zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Der Diplom-Wirtschaftsjurist und Leiter der Niederlassung Braunschweig der bundesweit agierenden Kanzlei verschafft sich derzeit einen Überblick über die wirtschaftliche Lage des Dachdeckerbetriebes und prüft Sanierungsoptionen. Der Geschäftsbetrieb der Dachdeckerei läuft auch im vorläufigen Insolvenzverfahren weiter. „Ich prüfe derzeit mit Hochdruck, inwieweit die vorliegenden Aufträge wie geplant abgearbeitet werden können“, betont Hartwig. Die Löhne und Gehälter der rund 30 Mitarbeitenden werden über das Insolvenzgeld bis einschließlich Juli 2024 über die Bundesagentur für Arbeit abgesichert. Von August an kommt das Unternehmen selbst wieder für die Löhne und Gehälter auf. Ursache der wirtschaftlichen Schieflage ist das rasante Umsatzwachstum des 2009 gegründeten Familienunternehmens. Die Finanzierung des Unternehmens konnte mit dem Umsatzwachstum nicht in gleichem Maße Schritt halten. „Im Prinzip wurden wir Opfer unseres eigenen Erfolges“, sagt Geschäftsführer Stavri Schmidt. rung übernommen. Ergänzt wurde das Team durch Christoph von Wilcken (M&A), die Spezialisten im Sanierungsarbeitsrecht um Alexander von Saenger und Seraphim Ung Kim sowie Guido Koch im Bereich der betriebswirtschaftlichen Planung. Opfer des eigenen Erfolgs forderungen, vor denen der Verein stand, diesen wichtigen Meilenstein in der Weiterentwicklung der Angebote erreichen können“, sagt Dr. Dirk Herzig. Im Interview in dieser Ausgabe sprechen er und Volker Böhm von Schultze & Braun über die Besonderheiten und die Erfolgsfaktoren von Sanierungen im sozialen Bereich. Foto: deutsche-steinzeug.de en

Insolvenzanfech Die spinnen, die R T i tel

htung: Römer!

Historisch betrachtet hat das heutige Anfechtungsrecht seine Ursprünge in der „actio pauliana“ („Paulianische Anfechtungsklage“) der sogenannten Digesten des römischen Rechts. Darin war eine Pflicht zur Rückgewähr dessen festgelegt, was in der Absicht übertragen wurde, die Gläubiger zu benachteiligen. Ein Grundzug der Vorsatzanfechtung, der bis heute Gültigkeit hat. Schlechter Scherz statt gerechtfertigter Forderung? Dieser Grundzug und die historische Komponente dürfte den meisten Anfechtungsgegnern wohl unbekannt und wahrscheinlich auch egal sein. Gleichwohl kommt vielen von ihnen – in Anbetracht der römischen Vergangenheit der Anfechtung – sicherlich der bekannte Ausspruch von Obelix ‚Die spinnen, die Römer!’ in den Sinn, wenn ein Verwalter von ihnen vereinnahmte Gelder zurückfordert. „Denn Geld zurückzahlen, das man von seinem Auftraggeber für eine erbrachte Lieferung oder Leistung erhalten hat – zum Teil bereits vor Jahren? Das klingt für viele verständlicherweise mehr nach einem schlechten Scherz als nach einer gerechtfertigten Forderung – gerade, weil die Betroffenen in der Regel ja nicht die anderen Gläubiger benachteiligen, sondern einfach nur die Bezahlung ihrer nicht zu beanstandenden Leistung oder Lieferung wollten“, sagt Karsten Kiesel von Schultze & Braun. Er ist Experte bei der prozessualen und außerprozessualen Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungsansprüchen sowohl für Kreditinstitute und Lieferanten als auch für Geschäftsführer und Gesellschafter. Große finanzielle Bedeutung „Die Bedeutung der Insolvenzanfechtung – und besonders der Vorsatzanfechtung – hat unter der Insolvenzordnung sehr stark zugenommen – und das für Insolvenzverwalter, aber auch für die Anfechtungsgegner“, sagt Kiesel. „Da sich die Bearbeitung der Anfechtungssachverhalte professionalisierte und die Rechtsprechung es dem Anfechtenden teilweise einfach zu machen schien, haben Insolvenzverwalter in den einzelnen Verfahren den Fokus auf die Erhöhung der Insolvenzmasse durch Nutzung dieses Instruments legen können.“ Dadurch haben allein die Zahl und der Umfang der Anfechtungen stark zugeSeminartipp Update Insolvenzanfechtungsrecht 24.10.2024 – Online Vor 25 Jahren trat die Insolvenzordnung in Kraft. Die Grundzüge des Insolvenzrechts sind aber fast 100-Mal älter und gehen auf römisches Recht zurück. Ebenfalls römisch sind die Grundzüge der Insolvenzanfechtung. Karsten Kiesel von Schultze & Braun erläutert, warum sie auch heute noch Gültigkeit haben und wie sich die Anfechtung gerade im Laufe der letzten Jahre gewandelt hat. T i tel

nommen. Grundsätzlich gilt: Im Zeitraum der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag sind die Anforderungen für eine Anfechtung geringer als im davor liegenden Zeitraum – also vier oder mehr Monate vor dem Antrag. Seit der gesetzlichen Reform der Anfechtung im Jahre 2017 und der sogenannten Neujustierung der BGH-Rechtsprechung 2021 hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Insolvenzverwalter und Anfechtungsgegner jedoch für die länger vor dem Antrag liegenden Handlungen wieder etwas zugunsten der Anfechtungsgegner verschoben. „Gerade der IX. Senat des BGH hat die Anfechtung mit gleich mehreren Entscheidungen in den letzten Jahren für Insolvenzverwalter komplexer und schwieriger gemacht und den Anfechtungsgegnern mehr Werkzeuge in die Hand gegeben, um Ansprüche von Verwaltern abzuwehren“, sagt Kiesel. „So reicht allein die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit eines Geschäftspartners inzwischen in vielen Fällen bei Weitem nicht mehr aus, subjektive Voraussetzungen zur Gläubigerbenachteiligung zu belegen. Vielmehr spielt neben weiteren Faktoren auch die Zielrichtung eine Rolle, mit der eine Zahlung geleistet wurde. Besonders schwierig und riskant wird es für den späteren Anfechtungsgegner dann, wenn die Beteiligten um die Aussichtslosigkeit der Lage des späteren Schuldners wissen und weiter Zahlungen erfolgen oder die Geschäftsbeziehung fortgeführt wird.“ Es ist daher für Verwalter, aber auch für Anfechtungsgegner durchaus von Vorteil, wenn sie bei Anfechtungssachverhalten auf die Expertise von Spezialisten in diesem Bereich zurückgreifen können. Die Insolvenzanfechtung ist auch einer der Punkte, die die Europäische Union im Zuge der Insolvency III-Richtlinie angehen und vereinheitlichen will. Es ist aber fraglich, ob dies hierzulande zu größeren Änderungen führt. Was ist gerecht? „Es gibt wohl kaum einen Aspekt in Insolvenzverfahren, über den so viel diskutiert wird, und bei dem sich die rechtlichen Rahmenbedingungen so regelmäßig ändern wie die Insolvenzanfechtung. Dabei schwingt neben der sicherlich großen finanziellen Bedeutung für die Betroffenen immer auch die Frage ‚Was ist gerecht?’ mit. Die Grundidee der Insolvenzanfechtung heute und der actio pauliana im römischen Recht ist es, die von einem Beteiligten anfechtbar erlangten Werte wieder unter allen benachteiligten Gläubiger zu verteilen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Regelungen der Insolvenzordnung und die BGH-Rechtsprechung dazu beitragen, bei richtiger Anwendung angemessene Lösungen in Insolvenzverfahren zu finden, auch wenn man im Einzelfall häufig um die gerechte Lösung kämpfen muss“, fasst Kiesel zusammen, der bereits eine Vielzahl an Insolvenzverwaltern aber auch Anfechtungsgegnern in Anfechtungssachverhalten beraten und vertreten hat.

In der Krise auf Nummer Sicher Thema Frau Dr. Josko de Marx, Herr Dr. Fendel, die Herausforderungen für Unternehmen steigen, gleiches gilt für den Bedarf an Restrukturierungen und Sanierungen. Wie kann eine doppelseitige Treuhand dabei helfen, Sanierungskonzepte umzusetzen und Insolvenzen zu vermeiden? Josko de Marx: Ein gutes Beispiel ist, wenn ein Unternehmen in eine Schieflage gerät und frisches Kapital für eine Sanierung benötigt. Mitunter kommen Unternehmer und Finanzierer dabei trotz jahrelanger, erfolgreicher Zusammenarbeit an einen Punkt, an dem der Beziehungsstatus von „gut“ zu „Es ist kompliziert“ wechselt und mitunter die Stimmung kippt. In einem solchen Fall lässt sich mit der Hilfe einer Treuhandlösung eine neue Vertrauensbasis schaffen. Fendel: Grundsätzlich gilt: Eine Treuhand ergibt im Rahmen einer Sanierung immer dann Sinn, wenn es darum geht, die wirtschaftlichen Interessen von Finanzierern und Unternehmen beziehungsweise deren Gesellschaftern möglichst ausgewogen zu gestalten. Man kann also durchaus sagen, dass die Treuhand den erwünschten Interessensausgleich zwischen allen Parteien schafft. Fendel: Ja, durch den Treuhänder als neutralen Dritten kann eine Balance hergestellt und unter anderem auch eine etwaig emotional schwierige Situation beruhigt werden. Der Treuhänder begleitet den Prozess und wird im Bedarfsfall eine Art Corporate Governance Struktur etwa in Form eines Lenkungsausschusses oder Beirats aufsetzen, in dem alle Beteiligten eingebunden sind, einschließlich der Berater des Unternehmens. Das schafft Vertrauen und ermöglicht gerade in „verfahrenen“ Situationen eine sach- und interessengerechte Zusammenarbeit. Josko de Marx: Weitere Vorteile sind, dass die Finanzierer nicht selbst Gesellschafter des Unternehmens werden und Anteile übernehmen müssen, wenn es zur Treuhand kommt. Auch am Treuhandvertrag sind die Finanzierer nicht als Vertragspartei, sondern „nur“ im Rahmen der Drittbegünstigung beteiligt. Des Weiteren können sich die Finanzierer den Treuhänder selbst aussuchen. Schließlich werden Nachhaltigkeit gewinnt für Unternehmen enorm an Bedeutung – gerade auch bei der Finanzierung. Dr. Ludwig J. Weber von Schultze & Braun rät Unternehmen im Interview auf dem Blog von Schultze & Braun dazu, Nachhaltigkeit allerdings nicht nur unter ESG-Gesichtspunkten zu betrachten, sondern auch an die Langlebigkeit ihrer Finanzierung zu denken. Die doppelseitige Treuhand ist ein bewährtes und präventiv einsetzbares Instrument an der Schnittstelle zwischen Krise und Insolvenz. Dr. Alexandra Josko de Marx und Dr. Roland Fendel von Schultze & Braun erläutern im Interview, worauf Unternehmen und Finanzierer achten sollten.

f gehen sich die Finanzierer bei einer erfolgreichen Sanierung im Rahmen einer Treuhand im Zweifel wirtschaftlich besserstellen als bei einem öffentlichkeitswirksamen Insolvenzverfahren. Den Unternehmen und Gesellschaftern wiederum bietet die Treuhand die Chance, die Unternehmenskrise diskret zu überwinden, etwaig verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und die geschaffenen Werte für die Gesellschafter zu erhalten. Welche Gestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten bietet eine Treuhand? Josko de Marx: Der Treuhänder hält und verwaltet die Sicherheiten sowohl zugunsten der Gesellschafter als auch zugunsten der begünstigten Dritten. Daher auch die Bezeichnung dieser Art von Treuhand als „doppelseitig“. Den Begünstigten wird über den Treuhandvertrag ein direkter Anspruch gegen den Treuhänder eingeräumt – etwa auf Auskehr des Erlöses aus einer Verwertung der Sicherheiten oder auf sonstige Leistungen. Dabei kann eine Treuhand sowohl in rechtlicher als auch in zeitlicher Hinsicht flexibel der jeweiligen Situation angepasst werden. Fendel: Denkbar ist etwa ein „dosierter“ Übergang von Geschäftsanteilen oder Gesellschafterbefugnissen auf den Treuhänder in Abhängigkeit von der Umsetzung eines Sanierungsplans oder der Verkauf nur einzelner Geschäftsbereiche bei Eintritt eines Bedingungsfalls anstatt des gesamten Unternehmens. Welche Punkte sollten bei einer Treuhand beachtet werden? Fendel: Neben dem richtigen Zeitpunkt für die Konstituierung einer Treuhand muss der Zeitpunkt eindeutig definiert sein, ab welchem dem Treuhänder zusätzliche Rechte eingeräumt werden – etwa zur Verwertung der Sicherheiten. Auch müssen klare Regelungen für Laufzeit- und Rückübertragungsoptionen sowie für die Reihenfolge der Verteilung der Erlöse – der sogenannte Wasserfall – getroffen werden. Josko de Marx: Ebenfalls eindeutig bestimmt sein müssen natürlich das auf den Treuhänder zu übertragende Treugut, die Rechte und Pflichten des Treuhänders oder dessen Einbindung in das Sanierungskonzept. Die Basis dafür bildet ein umfassend verhandelter und professionell ausgearbeiteter Treuhandvertrag. In der Langfassung des Interviews auf dem Blog von Schultze & Braun sprechen Dr. Alexandra Josko de Marx und Dr. Roland Fendel zudem darüber, welche Sicherheit die doppelseitige Treuhand Finanzierern und Unternehmen beziehungsweise deren Gesellschaftern bietet. Und die beiden Experten für Treuhandlösungen erläutern weitere Situationen, in denen das Instrument zum Einsatz kommen kann.

Thema Soziale Not Herr Böhm, Herr Herzig, Sie haben bereits die Sanierung mehrerer Unternehmen und Vereine aus der Sozialwirtschaft begleitet. Was waren die Besonderheiten dabei? Herzig: Zunächst einmal würde ich sagen, dass es das Unternehmen oder den Verein aus der Sozialwirtschaft nicht gibt. Der Grund dafür ist, dass die Tätigkeiten der Unternehmen und der eingetragenen Vereine in diesem Bereich so enorm vielschichtig sind. Wenn ich zum Beispiel an das Autismuszentrum Chemnitz denke, dessen Trägerverein ich seit Sommer 2023 als Insolvenzverwalter bei der Sanierung unterstützt und begleitet habe, ging es um die Betreuung von rund 800 Betroffenen, Eltern und Angehörigen mit einem breiten Angebot an Beratung und Maßnahmen in den Bereichen Schule und Ausbildung, Arbeit, Wohnen, Therapie und Freizeit. Man kann die Arbeit, die die Mitarbeitenden dieses Vereins geleistet hat, nicht hoch genug einschätzen. Daher war es mir von Beginn an ein persönliches Anliegen, eine Lösung zu finden, die den Fortbestand gewährleistet, und es freut mich sehr, dass das mit der Übernahme durch das gemeinnützige SFZ Förderzentrum zu Anfang Juni dieses Jahres gelungen ist. Neben Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern stehen derzeit auch Unternehmen und Vereine aus der Sozialwirtschaft vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Volker Böhm und Dr. Dirk Herzig von Schultze & Braun sprechen im Interview über die Besonderheiten und die Erfolgsfaktoren von Sanierungen im sozialen Bereich. Seminartipp Insolvenz & Sanierung aktueller Krisenbranchen am 24.09.2024 online

Böhm: Es ist in der Tat immer etwas ganz Besonderes, wenn man eine Fortführungslösung für ein Unternehmen oder einen Verein aus der Sozialwirtschaft finden und umsetzen kann. So war es auch beim ASB-Regionalverband Erlangen-Höchstadt, dessen Sanierung ich als Insolvenzverwalter begleitet und den Insolvenzplan erstellt hatte. Das Verfahren konnte vor wenigen Wochen aufgehoben werden, und der Verband kann sich nun endgültig wieder voll und ganz auf seine Angebote im sozialen und karitativen Bereich fokussieren und nahezu alle Angebote und Tätigkeitsbereiche weiterführen. Die Entwicklung, die der Verband seit dem Insolvenzantrag im September 2019 genommen hat, zeigt, welche Möglichkeiten das Insolvenz- und Sanierungsrecht auch im sozialen und karitativen Bereich bietet – und das auch bei eingetragenen Vereinen, bei denen ein Sanierer die Mitglieder bei der Sanierung mitnehmen muss. Beim ASB-Regionalverband reden wir dabei – wenn auch von einer niedrigen – so doch von einer fünfstelligen Mitgliederzahl. Was sind denn die Gründe für die finanziellen Schwierigkeiten von Unternehmen oder Vereinen aus der Sozialwirtschaft? Böhm: Die Corona-Pandemie und ihre Nachwirkungen, aber auch der Fachkräftemangel im sozialen Bereich spielen hier sicherlich eine Rolle. Beim ASBRegionalverband, der im Herbst 2019 – also noch vor Corona – Insolvenzantrag stellen musste, hatte der Landesverband die Liquidität des Regionalverbandes lange Zeit mit Hilfe von Darlehen sichergestellt. Als diese Unterstützung nicht mehr möglich war, geriet der Regionalverband rasch in eine finanzielle Schieflage. Positiv war jedoch, dass die Verantwortlichen den Antrag frühzeitig gestellt haben, was die Sanierungsmöglichkeiten stark verbessert hat. Herzig: Letztlich müssen die Vereine auch betriebswirtschaftlich kostendeckend arbeiten. Neben Spenden, die in der Regel bei der Finanzierung aber eine untergeordnete Rolle spielen, sind es die verhandelten Stundensätze mit den Kostenträgern für die jeweils angebotenen Leistungen. Ausfallzeiten, wie zum Beispiel bei der Schulbegleitung – wenn etwa 20 Prozent der Unterrichtsstunden im Durchschnitt ausfallen, werden hier nur sehr eingeschränkt ausgeglichen. Das Personal muss gleichwohl vorgehalten werden. Kommen dann noch unternehmerische Fehlentscheidungen bei Investitionen hinzu, gerät ein Verein schnell in eine wirtschaftliche Schieflage. Daher bedarf es einer regelmäßigen und frühzeitigen Überprüfung der Stundesätze und konsequenter Verhandlungen mit den Kostenträgern. Wir konnten den Geschäftsbetrieb in den Zentren gemeinsam mit der Vereinsgeschäftsführung stabilisieren und neue Stundensätze mit den Kostenträgern vereinbaren. Wichtig war auch hier, dass der Antrag im Juli 2023 frühzeitig gestellt wurde und wir zeitnah danach erste Sanierungsmaßnahmen umsetzen und nach einem Investor suchen konnten. Bereits im August konnte der Trägerverein daher die Löhne und Gehälter der Mitarbeitenden wieder aus eigenen Mitteln bestreiten. Dafür waren aber nicht nur die Sanierungsmaßnahmen, sondern auch die Gespräche mit den Kostenträgern ausschlaggebend, da die Vergütung der Arbeit in den Einrichtungen nicht kostendeckend gestaltet war. Das Insolvenzrecht bietet für die wirtschaftliche Restrukturierung und Sanierung eines Krankenhauses zahlreiche Möglichkeiten. Welche das sind, zeigen Tobias Hartwig, Dr. Ludwig J. Weber und Alexander von Saenger von Schultze & Braun im kostenfreien Whitepaper Vom kranken Haus zum Krankenhaus. Im Interview in der Juli-Ausgabe 2023 sprechen Dr. Christoph von Wilcken und Tobias Hartwig von Schultze & Braun über die Lösungen für die Betreiber von Pflegeeinrichtungen, um die Krise zu meistern. Die beiden haben bereits mehrere Unternehmen aus der Pflegebranche bei ihren Sanierungen begleitet.

T e r m i n e Juli – Oktober 2024

High-End: Insolvenz- und Gesellschaftsrecht 26.07.2024, online Insolvenztabelle 29.08.2024, online Praxis-Wissen: Sanierung 19.09.2024 - 20.09.2024, online Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz 23.09.2024, online Insolvenz & Sanierung aktueller Krisenbranchen 24.09.2024, online Leasing & Insolvenz 26.09.2024, online Basiswissen Insolvenzrecht für SachbearbeiterInnen 08.10.2024, online Update Insolvenzanfechtungsrecht 24.10.2024, online

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