Krise Chance präsentiert von Juni 2024 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz Die Zukunft des Insolvenzverfahrens
Ticker Neuaufstellung für Spezialisten für Heimtextilien und technische Textilien angestrebt Die Curt Bauer GmbH mit Sitz in Aue-Bad Schlema im Erzgebirge ist Spezialist für Heimtextilien und technische Textilien. Das Familienunternehmen, das auf eine 1867 gegründete Weberei zurückgeht, strebt eine Neuaufstellung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens an. Curt Bauer entwirft, produziert und vertreibt luxuriöse Tischwäsche und Bettwäsche, Bekleidungsdamaste für den afrikanischen Markt sowie anspruchsvolle Textilien für den Einsatz im Automobilbereich, im Kälteschutz. Rüdiger Bauch vom Chemnitzer Standort von Schultze & Braun prüft als vorläufiger Insolvenzverwalter die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Sanierung. Ziel ist, eine Fortführungs-Perspektive für den Standort in Aue-Bad Schlema, die Bereiche Heimtextilien, Bekleidungsdamast für den afrikanischen Markt und technische Textilien und die insgesamt gut 100 hochqualifizierten Mitarbeitenden zu erreichen. Der Geschäftsbetrieb von Curt Bauer läuft unterdessen in vollem Umfang weiter. Bestellungen und Aufträge werden wie geplant bearbeitet, hergestellt, verpackt und ausgeliefert. Neubestellungen sind weiterhin möglich. Die Belegschaft und Kunden wurden über die Entwicklung im Unternehmen informiert. Die Löhne und Gehälter der Mitarbeitenden sind bis mindestens Juni gesichert. Bild: curt-bauer.de
Im Juni stehen mit der Fußball-Europameisterschaft der Herren und dem Europäischen Insolvenzrechtstag in Brüssel auf europäischer Ebene zwei prominente Termine an. Bei der Europameisterschaft steht sicherlich bei vielen Fußballfans hierzulande die Antwort auf die Frage „Kann die deutsche Nationalmannschaft an die guten Leistungen aus den Vorbereitungsspielen anknüpfen und den Titel bei der Heim-Europameisterschaft holen?“ ganz oben auf der Liste. Im Insolvenz- und Sanierungsbereich ist es hingegen gar nicht so einfach, die spannendste der vielen Fragen zu bestimmen, über die derzeit diskutiert wird. Wir haben uns daher gleich drei dieser Fragen vorgenommen und ordnen Sie für Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein. Beim Europäischen Insolvenzrechtstag ist die Harmonisierung der Insolvenzrechte – oder Insolvency III, wie die entsprechende Richtlinie auf EU-Ebene heißt – ein wichtiges Thema. So geht es etwa darum, wie viel Harmonisierung sinnvoll und an welchen Stellen sie wirklich notwendig ist. In seinem Beitrag stellt mein Kollege Patrick Ehret, der einer der beiden Moderatoren der Podiumsdiskussion zu Insolvency III in Brüssel ist, den aktuellen Stand vor, erläutert zudem, warum die Insolvency III-Richtlinie nach der Europawahl wieder Fahrt aufnehmen dürfte und was sie mit dem EM-Motto der Bundesregierung „Heimspiel für Europa“ gemeinsam hat. In unserem Titelthema „Die Zukunft des Insolvenzverfahrens“ geht es nicht nur um einen mindestens ebenso spannenden Aspekt aus dem Insolvenz- und Sanierungsbereich. Im Interview verbindet Prof. Dr. Georg Streit es zudem mit der angestrebten Harmonisierung der Insolvenzrechte auf EU-Ebene mit dem angedachten Mehr an Digitalisierung in Insolvenz- und Sanierungsverfahren, das sowohl auf nationaler wie auch auf EU-Ebene derzeit diskutiert wird. Im Interview spricht der Leiter der Praxisgruppe Insolvenzrecht & Restrukturierung von Heuking aber auch darüber, warum das Regelinsolvenzverfahren aus seiner Sicht keinesfalls bedeutungslos werden wird. Mit dem Thema „Sanierung 4.0“ – also den neuesten technologischen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung von Restrukturierungen und Sanierungen, allen voran KI-basierten Chatbots – beschäftigt sich Tom Brägelmann von Annerton bereits seit vielen Jahren. Im Interview erläutert er die Einsatzmöglichkeiten von KI im Sanierungs- und Restrukturierungsbereich, wie Chatbots es schaffen, Juristendeutsch schon sehr gut nachzuahmen und bei der Arbeit mit ihnen die Devise „Je konkreter und genauer, desto besser!“ gilt. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, Ihr Tobias Hirte e d i t o r i a l
Die Suche nach neuen Partnern für den KosmetikHersteller Mussler Cosmetic Production mit Sitz in Baden-Baden ist erfolgreich zu Ende gegangen. Mit Wirkung zum 1. Mai 2024 ist das Unternehmen Teil der Reviderm-Gruppe mit Sitz im bayerischen Sauerlach in der Nähe von München geworden. Die entsprechenden Verträge unterzeichneten Mussler-Insolvenzverwalter Dr. Dirk Pehl von Schultze & Braun sowie Reviderm-Vorstand Dominik Bauermeister am 30. April 2024. Der Produktionsstandort im BadenBadener Ortsteil Steinbach und rund 80 Arbeitsplätze bleiben erhalten. Reviderm ist ein 1986 gegründeter, etablierter Hersteller von Hautpflegeprodukten. Das Unternehmen entwickelt und produziert hochtechnologische Geräte für die professionelle kosmetische Behandlung in Studios, entwickelt und vertreibt aber auch auf Basis aktuellen dermatologischen Wissens und mit dem Einsatz biomimetischer Methoden hochwirksame eigene Hautpflegeprodukte und Make up. „Wir erweitern mit unserem neuen Standort in Baden-Baden unsere unternehmenseigenen Produktionskapazitäten für die Herstellung unserer Pflegeserien. Da wir Kunde von Mussler waren, kennen wir natürlich die hohe Qualität, für die der Standort Steinbach steht und die wir bereits in der Vergangenheit gerne für unsere eigenen Produkte genutzt haben und natürlich auch in Zukunft weiter nutzen möchten“, sagt Dominik Bauermeister. Dr. Dirk Pehl: „Es ist eine gute Lösung, die einmal mehr zeigt, dass ein Insolvenzverfahren nicht das Ende der Unternehmensgeschichte sein muss, sondern dass sie auch der Beginn von etwas Neuem sein kann.“ Ticker Investor für Hersteller f innovative Verbundmate Nahezu jeder hat wahrscheinlich schon einmal Kontakt mit den Produkten des traditionsreichen Familienunternehmens C. H. Müller gehabt – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die innovativen Verbundmaterialien des Herstellers aus Kunststoff, Echt- und Kunstleder finden in zahlreichen Fahrzeugmodellen, Schienenfahrzeugen oder Flugzeugen, aber auch in Medizinprodukten sowie anderen Industrieprodukten ihren Einsatz. Die Entwicklung und die Fertigung beim 1868 gegründeten Unternehmen mit Sitz in Heinsdorfergrund im sächsischen Vogtlandkreis laufen auch im vorläufigen Insolvenzverfahren unverändert weiter. Gleiches gilt für Gespräche mit potentiellen Investoren, die bereits begonnen wurVom Kunden zum Übernehmer Bild: www.mussler.de
Für die W. Nusser GmbH, einen High-End-Zulieferer von anspruchsvollen Blechbauteilen mit Sitz in Schwabmünchen bei Augsburg gibt es eine Investorenlösung. Nur rund zwei Monate nach dem Insolvenzantrag konnte Insolvenzverwalter Constantin Graf Salm-Hoogstraeten von Schultze & Braun zusammen mit dem Übernehmer der Belegschaft die gute Nachricht überbringen. Zum 1. Mai wurden der Geschäftsbetrieb und auch die gesamte Belegschaft durch die Nodo Industriegruppe aus Baden-Württemberg übernommen. „Wir freuen uns sehr, dass wir die Sanierung und Neuaufstellung nun abschließen und eine Zukunftsperspektive für W. Nusser und die Mitarbeitenden schaffen können“, sagt Salm-Hoogstraeten. Zusammen mit den rund 65 hochqualifizierten und engagierten Mitarbeitenden war es gelungen, den Geschäftsbetrieb von W. Nusser seit dem Insolvenzantrag Mitte März 2024 aufrechtzuerhalten. „Mir ist bewusst, dass die letzten beiden Monate nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern auch für die Lieferanten und die Kunden von W. Nusser eine aufreibende und mitunter auch keine einfache Zeit waren – umso schöner ist es nun, dass sich der Einsatz und die Ausdauer gelohnt haben“, sagt Salm-Hoogstraeten. „Das Unternehmen kann nun seine Kernkompetenz im Bereich der Blechverarbeitung und der Herstellung von anspruchsvollen Blechbauteilen ausbauen und die Anwendung auf die nächste Stufe heben“, sagt der Insolvenzverwalter. Bild: www.chmueller.com/de für erialien gesucht den. „Das Ziel ist es, das Unternehmen so aufzustellen, dass es seine Kernkompetenz im Bereich der Kaschierungen und Beschichtungen, für innovative Medizinprodukte, flexible Heizelemente und textilbasierte Leichtbau-Verbundmaterialien ausbauen und langfristig am Markt aktiv sein kann“, sagt Dr. Dirk Herzig von Schultze & Braun, den das Amtsgericht Chemnitz zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt hat. Geschäftsführer Philipp Porst und Herzig haben die Belegschaft bereits über die aktuelle Situation und die nächsten Schritte informiert. Die Löhne und Gehälter der rund 280 Mitarbeitenden sind bis Ende Juni über das Insolvenzausfallgeld gesichert. Fortbestand gesichert
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Herr Streit, nach mehr als zehn Jahren des Rückgangs steigt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nun bereits seit mehreren Monaten wieder kontinuierlich an. Inwieweit sehen wir aus Ihrer Sicht derzeit eine Normalisierung des Insolvenzgeschehens? Streit: Wir beobachten in der Tat seit dem Herbst 2022 einen deutlichen Anstieg der Zahl der Unternehmensinsolvenzen. Nach einem Hoch der Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise vor 15 Jahren war diese Zahl bis zum Jahr 2021 auf den niedrigsten Stand seit Einführung der Insolvenzordnung zurückgegangen. Im Jahr 2023 war ungefähr wieder das Niveau des Jahres 2019 erreicht beziehungsweise sogar leicht übertroffen, also des letzten Jahres vor dem Eingreifen der Sondereffekte insbesondere der Corona Pandemie. Die Sondereffekte der Corona Pandemie und der anschließenden Energiekrise mit einer Vielzahl staatlicher Hilfen und einer Aussetzung beziehungsweise Einschränkung der Insolvenzgründe sind daher nun überwunden. Zugleich bleibt aber mit einer bloßen Rückkehr zu den im langjährigen Vergleich bereits niedrigen Zahlen der letzten Jahre vor der Pandemie eine „Insolvenzflut“ bisher aus. Wenn Sie von einer Normalisierung des Insolvenzgeschehens sprechen, ist dies daher richtig. In den nächsten Monaten und Jahren werden wir aufgrund der Effekte der Zinswende, der im internationalen Vergleich hohen Energiepreise und der schwachen Entwicklung der deutschen Wirtschaft mit einem weiteren Anstieg der Insolvenzzahlen zu rechnen haben. Gerade größere Sanierungen werden inzwischen im Rahmen von Eigenverwaltungen oder Schutzschirmverfahren angegangen. Droht dem Regelinsolvenzverfahren ein Bedeutungsverlust? Streit: In der Tat sind bei größeren Unternehmensinsolvenzen seit Inkrafttreten des ESUG im Jahre 2012 immer stärker Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren sowie Insolvenzplansanierungen zu beobachten, auf die Schutzschirmverfahren als Variante des Eröffnungsverfahrens zielen. Dennoch gibt es weiterhin eine Vielzahl von Regelverfahren auch im Falle größerer Unternehmensinsolvenzen. Das Regelinsolvenzverfahren wird, auch jenseits von Kriminalinsolvenzen, wie etwa FlowTex und Wirecard, auch in Zukunft keinesfalls bedeutungslos werden. Ein gewisser Rückgang der Bedeutung wird sich aber fortsetzen. In Situationen, in denen das Management des schuldnerischen Unternehmens nicht mehr das Vertrauen der Stakeholder genießt, ist aber allemal das Regelverfahren die bessere Variante. Sanierung gelingt am besten –und häufig allein – im Konsens. Wenn entscheidende Stakeholder, wie etwa Kreditgeber, Lieferanten oder Kunden gegen eine Eigenverwaltung eingestellt sind, kann diese keinen optiVor 25 Jahren ist die Insolvenzordnung in Kraft getreten. Grund genug, den Blick auf die weitere Entwicklung des Insolvenzrechts und die Zukunft des Insolvenzverfahrens zu richten. Im Interview spricht Georg Streit von Heuking darüber, warum das Regelinsolvenzverfahren aus seiner Sicht keinesfalls bedeutungslos werden wird, die Harmonisierung der Insolvenzrechte und die digitale Zukunft. T i tel
malen Erfolg haben. Anders gewendet erfolgt eine Sanierung im Konsens aller Beteiligten am besten mittels Eigenverwaltung, häufig in Kombination mit einer Plansanierung. Die EU-Kommission will die Harmonisierung der nationalen Insolvenzrechte vorantreiben. Wie schätzen Sie die Bedeutung von verwalterlosem und Pre-Pack-Verfahren ein? Streit: Die Harmonisierung der nationalen Insolvenzrechte in der EU ist ein anzustrebendes Ziel. Ob Verfahren ohne Insolvenzverwalter tatsächlich eine gute Lösung für die Beteiligten darstellen, wage ich allerdings zu bezweifeln. Der Insolvenzverwalter beziehungsweise die Insolvenzverwalterin als neu hinzutretende, allein am Wohl der Gläubigergemeinschaft orientierte Persönlichkeit ist gerade bei kleinen Unternehmen, die keine geeigneten Strukturen für die Bewältigung einer Insolvenz aufweisen, nach meiner Einschätzung wichtig. Da das verwalterlose Verfahren allerdings vornehmlich kleine Fälle betreffen soll, wird sich die Praxis im Zusammenhang mit bedeutsamen Unternehmenssanierungen im Rahmen von Insolvenzen hierdurch nicht entscheidend verändern. Auch Pre-Pack-Verfahren sehe ich im Ergebnis eher kritisch. In anderen EU-Staaten hat man bereits Erfahrungen mit derartigen Verfahrensvarianten gesammelt. Demnach drohen zum Beispiel „Firesales“, also an maximaler Geschwindigkeit und nicht am Ziel der besten Verwertung im Gläubigerinteresse orientierte Veräußerungen. Im Zuge der EU-Harmonisierung, aber auch national gibt es derzeit Bestrebungen, Insolvenz- und Sanierungsverfahren digitaler zu gestalten. Wie sehen Sie diesen Ansatz und sein Potential? Streit: Die Digitalisierung von Insolvenz- und Sanierungsverfahren beurteile ich sehr positiv. Das Potential der Digitalisierung und insgesamt des technischen Fortschritts einschließlich des Einsatzes von künstlicher Intelligenz in der Justiz und insbesondere im Rahmen von Insolvenzverfahren ist enorm. Forderungsanmeldungen, die Führung der Insolvenztabelle und zum Beispiel die Durchführungen von Gläubigerversammlungen können mittels Digitalisierung kostengünstiger und effizienter für alle Beteiligten ausgestaltet werden. In der Interview-Langfassung auf dem Blog von Schultze & Braun spricht Georg Streit zudem über die Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Unternehmenssanierung und seine Wünsche für die Zukunft des Insolvenzverfahrens. Der Interviewpartner: Prof. Dr. Georg Streit ist Leiter der Praxisgruppe Insolvenzrecht & Restrukturierung der Kanzlei Heuking. Zu seinen Tätigkeitsbereichen zählen Restrukturierung & Insolvenzrecht, Distressed M&A sowie Prozessführung im Rahmen von Haftungsklagen, Anfechtungsklagen, D&O-Versicherungsfällen oder Insolvency Litigation.
Thema Mitte Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft der Herren unter dem Motto der Bundesregierung „Heimspiel für Europa“. Eine bekannte Weisheit von Sepp Herberger, dem Trainer der deutschen Weltmeistermannschaft von 1954, lautet: Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten. Auch wenn diese Weisheit angesichts der inzwischen doch oftmals sehr langen Nachspielzeiten etwas in die Jahre gekommen zu sein scheint, betont sie doch sehr anschaulich gewisse Gemeinsamkeiten, die auf alle Fußballspiele zutreffen und an denen sich die Beteiligten orientieren können. „Übertragen auf Insolvenzen und Sanierungen strebt die Europäische Union für ihre Mitgliedsstaaten Ähnliches an“, sagt Patrick Ehret, der bei Schultze & Braun im Internationalen Bereich tätig und beim Europäischen Insolvenzrechtstag einer der beiden Moderatoren der Podiumsdiskussion zu Insolvency III ist. Von großer Bedeutung Ende 2022 hat die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf vorgelegt, mit dem sie die Angleichung der nationalen Insolvenzrechte vorantreiben will. Solche Standards sind grundsätzlich auch für die deutsche Sanierungspraxis von großer Bedeutung – gerade auch, da die deutsche Wirtschaft traditionell stark exportorientiert ist und daher die rechtlichen Möglichkeiten für grenzüberschreitende Sanierungen eine wichtige Rolle spielen. „Nach der Europawahl wird der Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene sicherlich vorangetrieben werden, und es ist durchaus möglich, dass die Insolvency IIIRichtlinie im kommenden Jahr verabschiedet wird“, sagt Ehret. „Ob und was vom Richtlinienentwurf dann davon in Deutschland in nationales Recht umzusetzen ist, wird sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren herausstellen.“ (K)ein Änderungsbedarf Ein Punkt, der im Zuge der Insolvency III-Richtlinie angegangen werden soll, sind einheitliche Standards bei der Anfechtung. „Bei diesem aus Banken- und Gläubigersicht wichtigen Punkt sind die Regelungen in Deutschland im EU-Vergleich bereits sehr detailliert ausgestaltet. Ich rechne daher nicht damit, dass es in diesem Bereich hierzulande größere Änderungen geben wird“, sagt Ehret, der in Deutschland und Frankreich als Rechtsanwalt zugelassen ist. Am 20. und 21. Juni findet in Brüssel der 13. Europäische Insolvenzrechtstag statt. Bei der Podiumsdiskussion zur Harmonisierung der nationalen Insolvenzrechte steht die Frage im Mittelpunkt, an welchen Stellen Harmonisierung wirklich notwendig ist. Patrick Ehret von Schultze & Braun geht davon aus, dass die Insolvency III-Richtlinie nach der Europawahl wieder Fahrt aufnehmen dürfte. Jedoch blieben grundlegende Punkte dabei außen vor.
Heimspiel für Europa mit Diskussionsbedarf Es gibt aber auch Punkte, bei denen bereits jetzt absehbar ist, dass sie im Zuge der Insolvency IIIRichtlinie nicht angeglichen werden sollen. Dazu gehört laut Ehret die Definition der Zahlungsunfähigkeit. „Die Zahlungsunfähigkeit ist nicht nur in Deutschland der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen. Es wäre daher sinnvoll, die mitunter umfangreichen Unterschiede zwischen den nationalen Insolvenzrechten bei der Definition der Zahlungsunfähigkeit anzugleichen“, sagt Ehret. „Jedoch bleibt dieser Punkt bei Insolvency III außen vor, für die Insolvenzantragspflicht sind immerhin Mindeststandards vorgesehen. Dass solche zentralen Punkte nicht oder nur in kleinem Maßstab angeglichen werden sollen, hat im Zuge des bisherigen Gesetzgebungsprozesses für einige Kritik gesorgt.“ Kritik an zentralen Punkten Kritik gab und gibt es auch im Zusammenhang mit dem Richtlinienentwurf von Ende 2022 vorgesehenen vereinfachten, regelmäßig verwalterlosen Verfahren für Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten, die höchstens zwei Millionen Euro Umsatz erwirtschaften. „Es ist daher wahrscheinlich, dass das sogenannte verwalterlose Kleinverfahren am Ende des Gesetzgebungsprozesses entweder überhaupt nicht mehr Teil der Insolvency III-Richtlinie ist oder zumindest nicht im ursprünglich geplanten Umfang.“ Kommen dürfte mit Insolvency III jedoch das bereits im Richtlinienentwurf vorgesehenen Pre-Pack-Verfahren, das sich in eine Vorbereitungs- und eine Liquidationsphase unterteilt. „Das Pre-Pack-Verfahren soll es ermöglichen, eine schuldenfreie Unternehmensübernahme bereits vor der Insolvenzeröffnung vorzubereiten“, sagt Ehret. „Eine schuldenfreie Unternehmensübernahme ist mit der übertragenden Sanierung zwar auch schon jetzt möglich, allerdings ziehen sich Übernahmen insolventer Unternehmen oftmals bis nach der Eröffnung hin – mitunter sogar Monate. Das ist dann eine echte Kostenfrage – etwa, wie zum Beispiel die Gehälter der Mitarbeitenden im eröffneten Verfahren gedeckt werden.“ Begleitet wird das Pre-Pack-Verfahren von einem sogenannten Monitor, der nach der Übernahme in der Liquidationsphase die Restabwicklung übernehmen soll. Noch einigen Diskussionsbedarf Angesichts der zahlreichen Punkte, die von Insolvency III betroffen wären, ist davon auszugehen, dass es nicht nur bei der Podiumsdiskussion auf dem Europäischen Insolvenzrechtstag in Brüssel, sondern auch im weiteren Gesetzgebungsprozess noch einigen Diskussionsbedarf geben wird. Bis zu einem „Heimspiel für Europa“ wird es mit dem Blick auf die Angleichung der unterschiedlichen Regelungen der nationalen Insolvenzrechte sehr wahrscheinlich noch eine ganze Zeit lang dauern.
Thema Sanierung 4.0: KI richtig und ziel- gerichtet einsetzen Herr Brägelmann, Sie beschäftigen sich bereits seit vielen Jahren mit den neuesten technologischen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung von Restrukturierungen und Sanierungen – allen voran KI-basierten Chatbots wie ChatGPT oder BingChat. Wie bewerten Sie die Einsatzmöglichkeiten von KI im Sanierungs- und Restrukturierungsbereich? Brägelmann: Zuerst sollten sich alle Nutzer darüber bewusst sein, dass ein Chatbot kein Ersatz für eine Suchmaschine oder gar eine Wahrheitsmaschine ist. Chatbots können zum jetzigen Zeitpunkt juristische oder wirtschaftliche Fragen nicht so fundiert beantworten wie erfahrene Experten aus den Bereichen Sanierung und Restrukturierung. Aber ChatGPT, Claude, Gemini Advanced und andere Chatbots sind hervorragend dafür geeignet, juristische Texte zu kürzen oder verständlicher zu machen. Sie können sogar juristische Texte entwerfen. Natürlich müssen die Nutzer diese Texte dann noch gründlich überprüfen, um sicherzustellen, dass alles korrekt ist – was die Nutzer aber nur können, wenn sie etwas von Jura verstehen. Aber brauchbare erste Textentwürfe liefern Chatbots durchaus. Was wäre ein Beispiel für eine solche Nutzung von Chatbots? Brägelmann: Ein gutes Beispiel wäre die Erstellung einer Gegenposition zu einer juristischen Argumentation. Zunächst ist es wichtig, dass die Nutzer ihre Anfrage so präzise und detailliert wie möglich formulieren, um genauere Antworten und Texte zu erhalten. Im Fall der Gegenposition müssen die Nutzer dem Chatbot zunächst die juristische Argumentation aus dem Schriftsatz der Gegenseite geben – natürlich anonymisiert – und den Chatbot dann bitten, eine passende Gegenposition zu schreiben, dies in juristischer Sprache und mit Nennung einschlägiger juristischer Zitate. Der Chatbot wird sicherlich noch das ein oder andere Zitat frei erfinden, weil ihm Quellen und Training fehlen – man nennt das „Halluzinieren“, es ist eine Art Antwortzwang per Wahrscheinlichkeitsrechnung – aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass Chatbots Juristendeutsch schon sehr gut nachahmen können. Der Zusatz in einem Prompt in der Art von „bitte sehr juristisch schreiben“ ist übrigens oft entscheidend, da der Chatbot ansonsten unter Umständen einen nicht-juristischen Text erstellt und damit das Ziel verfehlt. Sie sprechen davon, dass Schriftsätze anonymisiert werden müssen. Wieso? Brägelmann: Das hat zum einen mit Datenschutz zu tun, zum anderen mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen und dem Anwaltsgeheimnis. Chatbots 1999 trat nicht nur die Insolvenzordnung in Kraft, es kam auch der erste Teil der Matrix-Saga in die Kinos. Ein Film, der ein sehr düsteres Bild des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) zeichnet. Doch auch wenn die KI-Anwendungen heute noch weit davon entfernt sind, die Herrschaft über die Menschheit zu übernehmen, gibt es dennoch Besonderheiten, die Sanierer bei ihrem Einsatz im Blick haben sollten.
Der Interviewpartner: Tom Brägelmann ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Annerton. Der international erfahrene Insolvenz- und Restrukturierungsexperte ist sowohl in Deutschland als auch in den USA als Anwalt zugelassen. Brägelmann befasst sich bereits seit vielen Jahren mit technologischen juristischen Entwicklungen, insbesondere mit der Digitalisierung des Wirtschafts-, Restrukturierungs- und Insolvenzrechts. wie ChatGPT speichern die von Nutzern eingegebenen oder hochgeladenen Daten oder Dokumente – auch wenn es so scheint, als würden diese vom Chatbot nur vorübergehend verwendet. Durch die Speicherung wird der Chatbot verbessert und trainiert. Da aber unklar ist, wo die Daten und Dokumente gespeichert werden und wer noch Zugriff darauf hat, sollten alle Daten und Dokumente vor der Nutzung anonymisiert werden. Es muss immer geprüft werden, welche Vertraulichkeitsvereinbarung für welchen Chatbot gilt, wenn es denn eine gibt. Hinzu kommt, dass die Entwickler oder Betreiber der Chatbots meines Wissens nach auch nicht für die technische Sicherheit der Daten garantieren. Daher sollten Nutzer Chatbots niemals für sensible oder vertrauliche Daten verwenden. So reduzieren sie das Risiko von Datenlecks und Verstößen gegen den Datenschutz. Chatbots benötigen für ihre Tätigkeit sogenannte Prompts, also Arbeitsanweisungen für die Anfragen und Aufgaben, die dem Chatbot gestellt werden. Worauf sollten Nutzer dabei achten? Brägelmann: Es gilt die Devise: Je konkreter und genauer, desto besser! Dann lässt sich die KI effektiv und zielgerichtet einsetzen. Die Nutzer sollten immer bedenken, dass Chatbots kein Jurastudium absolviert haben und nicht auf die Erfahrung aus zahlreichen Restrukturierungen und Sanierungen zurückgreifen können. Daher sollten die Prompts am besten so formuliert sein, dass auch ein Nicht-Jurist sie versteht. Außerdem sollten die Nutzer bei ihrer Anfrage oder Aufgabe den Kontext und die Zielgruppe berücksichtigen. Für die Qualität des erstellten Textes ist es hilfreich, wenn der Chatbot weiß, aus welcher Perspektive und für wen er schreiben soll. Die Nutzer können auch mit verschiedenen Formulierungen in ihren Prompts experimentieren, um unterschiedliche Antworten zu erhalten. Das kann zu einem besseren Verständnis des Sachverhalts beitragen. Um tiefer in die Materie einzusteigen, empfehlen sich Follow-up-Fragen – also Anschlussfragen auf vorherige Antworten des Chatbots. In der Regel liefert der Chatbot dann detailliertere Informationen und das Gesamtergebnis verbessert sich.
T e r m i n e Juni 2024 Privatinsolvenz und Restschuldbefreiung in der Praxis 03.06.2024, online Erfolgreiche Zwangsversteigerung von Immobilien in der Praxis 04.06.2024, online Insolvenz und Sanierung von Krankenhausbetrieben 06.06.2024, online Insolvenzanfechtung vermeiden und abwehren 06.06.2024, online Teilungsversteigerung 06.06.2024, online Das Grundstück in der Insolvenz 11.06.2024, online Organ- und Beraterhaftung in Krise und Insolvenz 12.06.2024, online Die optimierte Verwaltervergütung 18.06.2024, online
Juli/ August 2024 High-End: Insolvenz- und Gesellschaftsrecht 26.07.2024, online Insolvenztabelle 29.08.2024, online
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