Krise & Chance September 2023

Krise Chance präsentiert von September 2023 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz

Ticker Die Sanierung des Aluminiumverarbeiters alfer aluminium Gesellschaft mbH befindet sich auf der Zielgeraden. Einen wichtigen Meilenstein hat das Verfahren Anfang August erreicht, als die Gläubigerversammlung am Amtsgericht Waldshut-Tiengen die Eigenverwaltung auch formal bestätigt hat. Die Gespräche mit potenziellen Übernehmern sind jetzt in die finale Phase eingetreten. alfer aluminium ist ein europaweit führender Hersteller von Profilen, Leisten und Systemen aus Aluminium, Stahl, Messing und Kunststoff und beschäftigt rund 300 Mitarbeitende. Die Profile des 1973 gegründeten Unternehmens finden sich in nahezu jedem Baumarkt. Die Geschäftsführung von alfer aluminium treibt die Sanierung in Eigenverwaltung seit Ende April 2023 voran. Unterstützt wird sie dabei von den Sanierungsberatern Dr. Dirk Pehl und Dr. Jürgen Erbe von Schultze & Braun, dem gerichtlich bestellten Sachwalter Dr. Philipp Grub von der Kanzlei Grub Brugger sowie dessen Kanzleikollegin Nora Sickeler. Auf der Zielgeraden

Erinnern Sie sich noch an die roten Schokoladenherzen von Air Berlin? Mitte August 2017 stellte die damals zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Insolvenzantrag und musste Ende Oktober den Flugbetrieb einstellen. Knapp sechs Jahre nach dem Grounding werden die roten Schokoladenherzen auf Online-Plattformen aber immer noch zum Verkauf angeboten. Anders sieht das hingegen inzwischen bei der Marke Air Berlin aus. Kürzlich wurde bekannt, dass sie bereits seit Ende Juni 2023 einen neuen Eigentümer hat. Welche Pläne dieser für die Marke hat, ist noch nicht bekannt, allerdings wäre es jetzt natürlich wieder möglich, Air Berlin-Schokoladenherzen herzustellen. Wir haben die Markentransaktion zum Anlass genommen, mit meinem Kollegen Dr. Michael Rozijn über die Besonderheiten solcher Deals zu sprechen – denn davon gibt es für den Verkäufer, aber auch für den Erwerber einige zu beachten. Ein wichtiger Punkt: Je nach Branche, Marktdurchdringung, Verkaufsanlass und Dauer des Verkaufsprozesses ist kaum ein anderer Vermögensbestandteil so volatil und sensibel wie die Marke – nicht nur, aber eben gerade auch, wenn es sich um ein insolventes Unternehmen handelt. Air Berlin und das Interview zum Thema Marke sind aber natürlich nicht das einzige aufschlussreiche Thema in dieser Ausgabe – auch wenn es durchaus Verbindungen gibt. So waren am Air Berlin-Verfahren rund 1,3 Millionen Gläubiger beteiligt. Nicht ganz so viele, aber immerhin rund 300.000 Gläubiger sind es beim Insolvenzverfahren der Bayerischen Energieversorgungsgesellschaft (BEV). Das Verfahren sorgte unlängst für Schlagzeilen, da der BGH anhand dieses Falls entschieden hat, dass sogenannte Musterfeststellungsklagen auch gegen Insolvenzverwalter möglich sind. Welche Auswirkungen das für Insolvenzverwalter hat und worauf sie sich jetzt einstellen müssen, ordnet mein Kollege Prof. Dr. Andreas J. Baumert in seinem Beitrag ein. Um eine weitere Änderung – allerdings nicht vom BGH, sondern im Zuge des SanInsKG – und ihre Auswirkungen geht es in unserem Titel-Thema „Überschuldung reloaded“. Noch bis Jahresende ist das SanInsKG in Kraft, das unter anderem Erleichterungen bei den Voraussagen gebracht hat, die Geschäftsführer aufgrund insolvenzrechtlicher Vorschriften treffen müssen – zum Beispiel bei der Prüfung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung. Warum es dabei bereits jetzt Veränderungen gibt und welche Herausforderungen das für Geschäftsführer, aber auch Sanierer mit sich bringt, erläutert mein Kollege Dr. Jürgen Erbe. Ich wünsche Ihnen eine interessante und aufschlussreiche Lektüre, Ihr Tobias Hirte e d i t o r i a l

Ticker Madeleine Mode, der Anbieter von Damenbekleidung mit höchstem Qualitätsanspruch, stellt sich in eigener Regie neu auf und nutzt dazu seit Mitte August die Möglichkeiten eines Sanierungsverfahrens in Eigenverwaltung. Der Geschäftsbetrieb des Unternehmens mit Sitz in Zirndorf bei Fürth läuft ohne Einschränkungen weiter. Ziel ist es, das Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung in wenigen Monaten mit dem Einstieg eines Investors abzuschließen. Bei der Neuaufstellung und der Suche nach einem Investor wird Madeleine Mode von einem Team aus erfahrenen Sanierungsspezialisten von Schultze & Braun um die Restrukturierungsexperten Detlef Specovius, Michael Böhner und Christoph von Wilcken beraten und unterstützt, das unter anderem bereits für die Bekleidungshändler Esprit und Bonita bei ihren Neuaufstellungen in Sanierungsverfahren tätig war. Von Seiten des Gerichts begleitet Dr. Stefan Debus von Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen das Sanierungsverfahren als vorläufiger Sachwalter. Erneute bei Coro Foto: www.madeleine.de Alle Unternehmen, die CoronaÜberbrückungshilfen erhalten haben, müssen selbst aktiv zu werden und eine Schlussabrechnung einreichen oder eine Fristverlängerung beantragen. Die Frist für die Einreichung oder den Antrag auf Fristverlängerung bis zum 31. März wurde nun erneut verschoben – und zwar auf den 31. Oktober 2023. Unabhängig von einer mögRund zwei Jahre nach dem Insolvenzantrag hat die Sanierung der Schraubenfabrik Sternberg mit der Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger und seiner Bestätigung durch das zuständige Amtsgericht Chemnitz einen wichtigen Meilenstein erreicht und steht kurz vor dem Abschluss. „Damit ist ein Neuaufstellung in eigener Regie

lichen Fristverlängerung gilt jedoch: Den Stichtag 31. Oktober 2023 oder 31. März 2024 zu reißen ist nicht ratsam. Und auch ein Aussitzen führt im Fall der Schlussabrechnung nicht dazu, dass die Rückzahlung nach dem Motto „Wo keine Schlussabrechnung, da keine Rückforderung“ entfällt. Die Hilfen sind in den beiden genannten Fällen vielmehr in voller Höhe zurückzuzahlen. Was es für Insolvenz- und Eigenverwalter bei der Schlussabrechnung zu beachten gibt, haben Dr. Elske Fehl-Weileder von Schultze & Braun und Stefan Schwindl von der MTG Wirtschaftskanzlei in der Februar-Ausgabe erläutert. Über die Angaben in der Schlussabrechnung können Unternehmen eine Rückzahlungspflicht entweder ganz vermeiden oder zumindest die Höhe der Rückzahlung reduzieren, wenn sie Hilfen erhalten haben, aber insoweit nicht bezugsberechtigt waren. Worauf Unternehmen bei der möglichen Rückzahlung von Corona-Hilfen achten müssen, erläutern die beiden Experten in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Fristverlängerung ona-Überbrückungshilfen Vor dem Abschluss großer Schritt getan, um die Eigensanierung des traditionsreichen Unternehmens zeitnah abschließen zu können“, sagt Dr. Dirk Herzig von Schultze & Braun, der das Verfahren als Sachwalter begleitet. Zusammen mit Geschäftsführer Torsten Kerl und Rechtsanwältin Nicole Nsiah, die die Eigenverwaltung beraten hat, konnte der Geschäftsbetrieb seit Beginn des Verfahrens ohne Einschränkungen aufrechterhalten werden. Mit gezielten Sanierungsmaßnahmen konnte zudem dafür gesorgt werden, dass die Unternehmensgeschichte des vor über 100 Jahren gegründeten Herstellers von Sonderschrauben, -muttern und Drehteilen weitergeschrieben werden kann und alle rund 110 Arbeitsplätze erhalten wurden. Die Auftragslage bei der Schraubenfabrik Sternberg ist so gut, dass das Unternehmen neue Mitarbeitende sucht.

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Durch das SanInsKG, die Abkürzung für das sogenannte sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungsgesetz, ist der Zeitraum für die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung von zwölf auf vier Monate herabgesetzt worden. „Das bedeutet, dass die Insolvenzantragspflicht beim Insolvenzgrund der Überschuldung gelockert wurde, da der Nachweis einer Durchfinanzierung nur für den Zeitraum von vier anstatt für zwölf Monate notwendig war. Das war und ist vor dem Hintergrund der konjunkturellen Entwicklung und der weiterhin vorhandenen Planungsunsicherheit für viele Unternehmen sicherlich eine Erleichterung gewesen“, sagt Dr. Erbe. „Geschäftsleiter müssen allerdings beachten, dass der ursprüngliche Prognosezeitraum von zwölf Monaten nicht erst ab dem 31. Dezember, sondern bereits ab dem 1. September wieder relevant werden kann.“ Bereits jetzt an die Zeit nach dem SanInsKG denken Denn ab dem 1. September sind es weniger als vier Monate, bis die Regelungen des SanInsKG auslaufen. „Wenn für ein Unternehmen also bereits ab diesem Zeitpunkt feststeht, dass es unmittelbar nach dem Jahreswechsel und dem Auslaufen des SanInsKG unter dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff überschuldet sein wird, kann dieser Befund für die Überschuldungsprüfung relevant sein“, sagt Erbe. Geschäftsleiter wären in einem solchen Fall verpflichtet, bei der Fortführungsprognose wieder die ursprünglichen zwölf Monate zu Grunde zu legen. Wenn klar ist, dass das Unternehmen für diesen Zeitraum nicht durchfinanziert ist, müssen Geschäftsleiter bereits jetzt innerhalb der gesetzlichen Frist einen Insolvenzantrag stellen – auch, um sich vor einer möglichen persönlichen Haftung zu schützen. „Die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung ist mit dem SanInsKG temporär von sechs auf acht Wochen erhöht worden. So soll Unternehmen etwas mehr Zeit für den Versuch einer außerinsolvenzlichen Sanierung verschafft werden“, erläutert Erbe. „Die Frist darf allerdings nicht ausgeschöpft werden, wenn bereits zu einem früheren Zeitpunkt feststeht, dass eine nachhaltige Beseitigung der Überschuldung nicht erwartet werden kann.“ Überschuldung gewinnt wieder an Bedeutung Dass die verkürzte Frist zwar qua Gesetz noch bis zum 31. Dezember 2023 gilt, allerdings bereits schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer ihre praktische Wirksamkeit einbüßt, führt nach Ansicht von Noch bis Jahresende ist das SanInsKG in Kraft, das unter anderem Erleichterungen bei den Voraussagen gebracht hat, die Geschäftsführer aufgrund insolvenzrechtlicher Vorschriften treffen müssen – zum Beispiel bei der Prüfung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung. Warum es bereits jetzt Veränderungen gibt und welche Herausforderungen das für Geschäftsführer, aber auch Sanierer mit sich bringt, erläutert Dr. Jürgen Erbe von Schultze & Braun. T i tel

Erbe dazu, dass die Überschuldung als Insolvenzgrund wieder an Bedeutung gewinnen wird. „Die Zahlungsunfähigkeit wird aber auch weiterhin der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen bleiben“, sagt Erbe und rät: „Gerade, da die wirtschaftliche Erholung weiterhin auf sich warten lässt, sollten sich Geschäftsleiter – so hart das zunächst klingen mag – regelmäßig mit der Frage ‚Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?’ befassen. Denn die Antwort auf diese Frage hat nicht nur für das Unternehmen, sondern gerade auch für Geschäftsleiter in Bezug auf ihre persönliche Haftung eine große Bedeutung. Auch Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsvorhaben betroffen Die Antwort spielt aber auch für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsvorhaben eine Rolle – etwa, da ein Schutzschirmverfahren oder eine StaRUGRestrukturierung nur dann angegangen werden können, wenn die Zahlungsunfähigkeit noch nicht eingetreten ist. „Mit dem Blick auf diese Verfahren ist aber auch das nahende Auslaufen des SanInsKG von Bedeutung“, sagt Erbe. „Die Planungszeiträume für die Erstellung von Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen sind mit dem SanInsKG bis zum 31. Dezember 2023 von sechs auf vier Monate herabgesetzt worden. Bei Verfahren, bei denen die Planung ab dem 1. September beginnt, kann es durchaus schon jetzt sinnvoll sein, wieder Finanzpläne vorzulegen, aus denen sich für einen Zeitraum von sechs Monaten ergibt, dass das Unternehmen durchfinanziert ist. Denn die Planung läuft ja auf jeden Fall in die Zeit nach dem SanInsKG hinein.“ Relevant ist bei der Planung unabhängig von ihrem Zeitraum, dass dabei weiterhin Einnahmen und Ausgaben des laufenden Geschäftsbetriebes genauso wie die Sanierungs- und Verfahrenskosten berücksichtigt werden müssen. „Für ein erfolgreiches Sanierungs- und Eigenverwaltungsverfahren ist es zudem wichtig, dass eine Planung vorliegt, die ausweist, dass das Unternehmen bis zum Abschluss des Verfahrens und auch darüber hinaus durchfinanziert ist“, sagt Erbe, der bereits zahlreiche Unternehmen in Eigenverwaltungen beraten und unterstützt hat. Nur so gelinge nach Ansicht des Experten eine nachhaltige Sanierung.

Insolvenzrecht unter Strom Thema Das Insolvenzverfahren der Bayerischen Energieversorgungsgesellschaft (BEV) kann man sicherlich als Großverfahren bezeichnen – nicht nur angesichts der Höhe der angemeldeten Forderungen von knapp 261 Millionen Euro, sondern gerade auch mit dem Blick auf die reine Anzahl der Forderungsanmeldungen. Bis zur ersten Gläubigerversammlung Mitte Januar 2020 gab es derer fast 235.000. Noch höher ist die Zahl der Gläubiger: Insgesamt gibt es neben Großgläubigern aus dem Energiebereich mehr als 300.000 Kunden-Gläubiger. Wie viele der Kunden-Gläubiger der BEV sich der Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands angeschlossen haben, in der es um die Anrechnung beziehungsweise Nicht-Anrechnung eines Neukundenbonus durch den Insolvenzverwalter ging, ist nicht bekannt. Der BGH hat im Fall eines insolventen Stromanbieters entschieden, dass Musterfeststellungsklagen gegen Insolvenzverwalter möglich sind – unabhängig davon, ob das Unternehmen fortgeführt wird oder nicht. Warum das für Insolvenzverwalter auch eine Vereinfachung sein kann, erläutert Prof. Dr. Andreas J. Baumert von Schultze & Braun.

Versetzt der BGH Insolvenzverwaltern einen (Strom)Schlag? Seit Ende Juli ist allerdings bekannt, wie der Bundesgerichtshof in dieser Angelegenheit entschieden hat. Der neunte Zivilsenat hat die Revision des Insolvenzverwalters von BEV gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts München zurückgewiesen (Az. IX ZR 267/20). Die OLG-Entscheidung besagte, dass Neukundenboni auch dann geschuldet werden, wenn die eigentlich vorgesehene Vertragsdauer von mindestens einem Jahr durch die Insolvenz nicht erreicht wurde. Zudem können solche Neuboni in der Insolvenz mit Forderungen des Insolvenzverwalters der BEV an die Kunden verrechnet werden. Ein Insolvenzverwalter ist ein Unternehmer „Der BEV-Fall ist insofern besonders von Bedeutung, da der BGH in diesem Zusammenhang nicht nur eine Entscheidung zur Forderungsfeststellung gefällt hat. Die Richter des neunten Senats haben auch festgestellt, dass nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Unternehmens gegen den Insolvenzverwalter Musterfeststellungsklage erhoben werden kann – und das unabhängig davon, ob das Unternehmen fortgeführt wird oder nicht“, sagt Baumert. „Der BGH hat damit die Ansicht des OLG München bestätigt, das den Insolvenzverwalter mit einem Unternehmer gleichgesetzt hat – zumindest bei der Musterfeststellungsklage.“ Kriminalinsolvenzen und Kapitalmarktinsolvenzen als potenzielle Fälle Baumert hat 2009 unter anderem die sogenannte Phoenix-Rechtsprechung prozessseitig für den Insolvenzverwalter von Phoenix Kapitaldienst durch die Instanzen bis zum BGH begleitet hat: „Phoenix war eine Anleger-Kriminalinsolvenz, bei der es eine auch eine große Zahl an Gläubigern mit gleichlaufenden streitigen Ansprüchen gab.“ Die Musterfeststellungsklage gibt es im deutschen Recht seit dem 1. November 2018. Die Wahrscheinlichkeit wäre groß, dass ein Verband im Fall Phoenix eine Musterfeststellungsklage eingereicht hätte – etwa zur Klärung von Aussonderungsansprächen bezüglich der Einlagenzahlungen der Anleger, wenn diese vermengt mit anderen Geldern auf einem Bankkonto von Phoenix liegen würde, so Baumert. Er rechne generell damit, dass sich nach dem aktuellen BGH-Urteil Insolvenzverwalter vermehrt mit Musterfeststellungsklagen auseinandersetzen müssen – aber gerade Kriminalinsolvenzen und Kapitalmarkt-Insolvenzen sehe er als potenzielle Fälle. Vereinfachung für Insolvenzverwalter Wahrscheinlich ab Herbst werden qualifizierte Verbände zudem auf Basis des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes (VRUG) eine sogenannte kollektive Leistungsklage erheben können, die neben die Musterfeststellungsklage tritt. Die BGH-Entscheidung zur Musterfeststellungsklage und mögliche Klagen auf Basis des VRUG können Baumert zufolge aber für Insolvenzverwalter auch eine Vereinfachung darstellen. „In Insolvenzverfahren geht es mitunter um eine Vielzahl an vergleichsweise kleinen Forderungsbeträgen, die streitig sind. Bei BEV belief sich der Neukunden-Bonus je Gläubiger auf 100 bis 200 Euro“, sagt Baumert. „Diese kleinen Streitwerte im Rahmen einer Musterfeststellungsklage zu einem großen Muster-Streitwert zusammenzufassen, kann prozessökonomisch durchaus sinnvoll sein. Denn von geringeren Prozesskosten zu Lasten der Insolvenzmasse profitieren am Ende sowohl Insolvenzverwalter als auch Gläubiger.“ Unlängst hat der BGH weitere Urteile mit großer Tragweite für Insolvenzverwalter und Unternehmen gefällt. Die Entscheidungen zum sogenannten Kleinbeteiligtenprivileg und zu den insolvenzabhängigen Lösungsklauseln haben wir in Krise & Chance für Sie eingeordnet.

Thema Ein Herz für Herr Rozijn, kommt es häufig vor, dass Investoren nicht das Unternehmen selbst, aber dessen Marke aus der Insolvenz heraus erwerben? Rozijn: Das Vorgehen bei Air Berlin reiht sich ein in eine Vielzahl von ähnlich gelagerten Fällen bei anderen Marken. Denken Sie etwa an Maredo, Praktiker, Neckermann oder Quelle. Gerade bekannte oder traditionsreiche Marken können für den Neustart oder den Ausbau von Unternehmen oder Produktlinien das Marketing befeuern. Was beabsichtigt ein Investor denn mit einem solchen Kauf? Rozijn: Der Erwerber übernimmt die eingeführte und am Markt bekannte Marke. Auch wenn der neue Eigentümer der Marke Air Berlin, der Gründer der Fluglinie Sundair, seine konkreten Pläne für die Marke noch nicht verkündet hat, profitiert sein Geschäft bereits jetzt von den nostalgischen Empfindungen, die die Marke bei vielen früheren Kunden auslöst, war Air Berlin doch gerade als Ferienflieger bekannt und beliebt. Dann läge es nahe, in der Branche oder Branchennähe zu bleiben. Gerade aus Sicht der Fluglinie Sundair könnte die Marke tatsächlich wieder für eine Fluglinie nutzten und ihr sprichwörtlich wieder „Wind unter die Flügel“ geben. Aber auch für Dienstleistungen im Fluggeschäft, etwa als Ticketvermittlung oder für Reiseveranstalter, lässt sich die Marke mit ihrer Historie gut verwenden. Gibt es auch Beispiele für stationäres Geschäft mit der Marke eines insolventen Unternehmens? Rozijn: Ja, da ist die Steakhaus-Kette Maredo ein gutes Beispiel. Nachdem das insolvente Unternehmen Anfang 2021 nahezu alle Mitarbeitenden entlassen musste, übernahm im Juli des gleichen Jahres ein Investor die Marke „Maredo“ und die dazugehörige Internet-Domain. Sein Ziel: Die Marke Maredo mit neuen Restaurants wieder mit neuer Lebensglut füllen. Aktuell gibt es unter dem Namen Maredo in mehreren deutschen Städten insgesamt acht Restaurants. Wie bemisst man denn den Wert einer Marke? Rozijn: Marken werden bei Unternehmensverkäufen oder auch bei Verwertungen aus der Insolvenz höchst unterschiedlich behandelt. Vom Inhaber wird der Wert der Marke häufig überschätzt, vom Interessenten wiederum wird er häufig klein geredet. Mal werden Rund 120.000 Euro – so viel sind dem neuen Eigentümer die Rechte an der Marke Air Berlin wert. Knapp sechs Jahre nach dem Grounding konnte der Insolvenzverwalter der ehemals zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft, die auch für ihre roten Schokoladenherzen bekannt war, die Marke Air Berlin verkaufen. Grundsätzlich gilt: Beim Erwerb, aber auch dem Verkauf einer Marke und der dazugehörigen Preisfindung müssen zahlreiche Besonderheiten beachtet werden. Welche das sind, erläutert Dr. Michael Rozijn von Schultze & Braun im Interview.

Marken bei der Preisfindung wenig beachtet, weil andere Umstände von größerem Interesse sind. Man kann – und sollte! – aber den Wert einer Marke mit Hilfe von professionellen Analysten möglichst objektiv bemessen. Dafür gibt es aber nicht nur ein einziges Bewertungsverfahren und einen einzigen objektiven Markenwert. Es sind unterschiedliche Verfahren anerkannt. Insofern ist der jeweils ermittelte Markenwert nur eine annäherungsweise Beurteilung für die Preisfindung. Die Ermittlung des Marktwerts ist also ein Verhandlungsargument und eine Basis für die Wirtschaftlichkeitsberechnung. Das klingt nach einem eher schwierigen Prozess der Preisfindung. Rozijn: Je nach Branche, Marktdurchdringung, Verkaufsanlass und Dauer des Verkaufsprozesses ist kaum ein anderer Vermögensbestandteil so volatil und sensibel wie die Marke – nicht nur, aber eben gerade auch, wenn es sich um ein insolventes Unternehmen handelt. Für den Verkauf aus der Insolvenz ist immer auch der Anlass und der Verfahrenslauf der Insolvenz ein Faktor, der sich auf den Wert der Marke – häufig wertmindernd – auswirkt. Zudem ist der Insolvenzverwalter auch häufig in der herausfordernden Situation, vergleichsweise schnell verkaufen zu müssen, um die Vermögensmasse zu generieren. Noch erheblicher belasten dann aber die weiteren Umstände der Insolvenz den Markenwert: Kriminalinsolvenzen verbrennen den Markenwert, ordentliche und geräuschlose Insolvenzverfahren können ihn schonen. Was raten Sie Unternehmen und Insolvenzverwaltern? Rozijn: Unternehmen und Insolvenzverwalter sollten bei M&A-Deals Marken immer einpreisen und objektiv bewerten. Ansonsten laufen sie Gefahr, einen bedeutenden Teil der Verkaufserlöse liegen zu lassen. Allerdings zeigt das Beispiel Air Berlin auch, dass die Preisvorstellungen mitunter weit auseinander gehen können und sich ein Insolvenzverwalter dann auch dem Markt und der Nachfrage beugen muss. Laut Medienberichten hatte der Insolvenzverwalter von Air Berlin wohl aus dem Verkauf der Marke einen deutlich höheren Erlös erwartet. r die Marke Dr. Michael Rozijn ist nicht nur Spezialist für den Verkauf und den Erwerb von Marken. Er leitet zudem den Dutch Desk von Schultze & Braun und berät seit vielen Jahren deutsche und niederländische Unternehmen im grenzübergreifenden Geschäft der beiden Länder. Der Dutch Desk, dem neben Rozijn auch Benjamin Schmutz angehört, betreut zudem zahlreiche grenzüberschreitende insolvenzrechtliche Mandate. Auf dem Blog von Schultze & Braun erläutern Rozijn und Schmutz, wie sichere Geschäfte mit Partnern aus den Niederlanden gelingen.

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