Krise & Chance Mai 2023

Krise Chance präsentiert von Mai 2023 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz Rares für Bares! Wie der Fall Leoni die Sicht auf das StaRUG verändert

Ticker Der Automobilzulieferer Leoni setzt seine finanzielle Restrukturierung im Rahmen eines StaRUG-Verfahrens um. Das Unternehmen hat damit nicht nur für Schlagzeilen gesorgt, sondern auch die Diskussion um die Praxistauglichkeit des vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens angeheizt. Das zeigt sich auch in zwei Umfragen, für die Schultze & Braun sich Anfang bis Mitte April und zum Jahreswechsel 2022/2023 an seine Follower auf LinkedIn gewandt hat. Die Ergebnisse liefern im Vergleich Anhaltspunkte dafür, dass sich die Sicht auf die Praxistauglichkeit des StaRUG durch den Fall Leoni wandelt. So bewerten im 60 Prozent derjenigen Follower, die an der Umfrage im April teilgenommen haben, die Praxistauglichkeit des StaRUG als sehr gut (10%) oder gut (50%). Bei den (nicht identischen) Teilnehmenden der Umfrage zum Jahreswechsel gaben 48 Prozent der Praxistauglichkeit des StaRUG ein „gut“. „Sehr gut“ erhielt in der damaligen Umfrage keine Stimme. Entsprechend von 52 Prozent auf 40 Prozent reduziert hat sich die Zahl derjenigen Teilnehmenden, die die Praxistauglichkeit des StaRUG als schlecht (43% - Jahreswechsel / 25% - April) oder sehr schlecht (9% - Jahreswechsel / 15% - April) ansehen – wobei allerdings auffallend ist, dass der Anteil der „sehr schlecht-Bewertungen“ gestiegen ist. Leoni und die Praxistauglichkeit des StaRUG Sehr gut 04/2023 04/2023 04/2023 04/2023 12/2022 12/2022 12/2022 12/2022 Gut Schlecht Sehr schlecht 10 % 50 % 25 % 15 % 0 % 48 % 43 % 9 %

Am Samstag, den 13. Mai, ist es wieder so weit. Der Eurovision Song Contest steht an und für Deutschland geht die Band „Lord of the Lost“ an den Start. Bislang hatten der deutsche ESC-Beitrag und das StaRUG bei vielen eine Gemeinsamkeit. Beide landeten in punkto Beliebtheit – und damit quasi auch Praxistauglichkeit – unter ferner liefen, wenn nicht sogar auf dem letzten Platz. 2023 könnte sich das allerdings ändern. Zwar sind beim Veröffentlichungstermin dieser Ausgabe von Krise & Chance weder der ESC, noch das StaRUG-Verfahren des Automobilzulieferers Leoni entschieden. Gleichwohl dürfte Lord of the Lost nach Ansicht der Buchmacher zumindest dazu beitragen, dass die deutsche ESC-Beitrag etwas besser abschneidet als in den Jahren zuvor. Und auch die Tatsache, dass mit Leoni – und kurz vor Redaktionsschluss auch der Modehändler Gerry Weber – ein großer Konzern das StaRUG für seine finanzielle Restrukturierung nutzt, scheint die Sicht auf die Praxistauglichkeit des StaRUG zu wandeln. Das zeigen auch die Ergebnisse unserer LinkedIn-Umfragen, die wir im Ticker dieser Ausgabe darstellen. Fakt ist: Der Fall Leoni könnte der vorinsolvenzlichen Restrukturierung zwei Jahre nach ihrem Start in Deutschland zum Durchbruch verhelfen. Grund genug also, dass wir uns im Titel-Thema dieser Ausgabe näher mit diesem Fall und dem StaRUG beschäftigen. Mein Kollege Dr. Dietmar Haffa war bereits in mehreren StaRUG-Verfahren tätig. Im Interview spricht er über seine Sicht auf das StaRUG und den Fall Leoni und erläutert, wie es Emittenten bei der Restrukturierung von Anleihen und Schuldscheindarlehen helfen kann. Neben Leoni hat Steinhoff – ein in Deutschland gegründeter Möbelkonzern, der seinen Sitz inzwischen in Amsterdam hat – mit seiner finanziellen Restrukturierung für Schlagzeilen gesorgt. Steinhoff hat ein WOAH-Verfahren eingeleitet, das niederländische Pendant zum StaRUG. Meine Kollegen Dr. Michael Rozijn und Benjamin Schmutz werfen einen ausführlicheren Blick auf das vorinsolvenzliche Verfahren der Niederlande und seine Auswirkungen für deutsche Unternehmen. Das dritte Thema dieser Ausgabe steht nicht im Zusammenhang mit dem StaRUG, ist aber nicht weniger aufmerksamkeitsstark: Die Entscheidung der Schufa zur verkürzten Speicherdauer der Restschuldbefreiung in ihren Bonitätsauskünften. Mein Kollege René Schmidt erläutert im Interview die Vor- und Nachteile dieser Entscheidung. Zudem spricht er darüber, warum aus seiner Sicht das Problem noch nicht endgültig gelöst ist und der Gesetzgeber aktiv werden sollte. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, Ihr Tobias Hirte e d i t o r i a l

Die staatlichen Hilfspakete während der Corona-Krise haben viele Unternehmen vor einer existenziellen finanziellen Schieflage gerettet. Fast drei Jahre nach dem Start der Überbrückungshilfe I steht nun jedoch bei vielen krisengebeutelten – aber auch bei insolventen – Unternehmen die Überprüfung und die mögliche Rückzahlung von gewährten Hilfen an. Alle Unternehmen, die Überbrückungshilfe erhalten haben, sind dazu verpflichtet, selbst aktiv zu werden. Bis 30. Juni 2023 müssen sie eine Schlussabrechnung einreichen oder eine Fristverlängerung bis zum 31. Dezember 2023 beantragen. Wichtig ist: Die Schlussabrechnung muss zwingend von einem prüfenden Dritten abgegeben werden, also einem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Die prüfenden Dritten sind es auch, die die Fristverlängerung bis Ende 2023 beantragen können, die automatisiert genehmigt werden soll. Unabhängig von einer möglichen Fristverlängerung gilt jedoch: Den Stichtag 30. Juni oder 31. Dezember zu reißen ist nicht ratsam. Warum das der Fall ist, erläutern Dr. Elske Fehl-Weileder von Schultze & Braun und Stefan Schwindl von der MTG Wirtschaftskanzlei für (nicht insolvente) Unternehmen und Insolvenz- und Eigenverwalter. Ticker Rüdiger Bauch, der Insolvenzverwalter des Kapitalanlagebetrugssystems Alphapool konnte den Gläubigern Mitte April gute Nachrichten überbringen: Sie erhalten knapp 20 Prozent ihrer Forderungen zurück. Bauch schüttet auf die insgesamt 627 angemeldeten Gläubigerforderungen in Höhe knapp 9 Millionen Euro einen Betrag von rund 1,75 Millionen Euro aus. „Die Quote liegt damit deutlich über den üblichen Insolvenzquoten, die Gläubiger in derartigen Verfahren üblicherweise erhalten“, betont der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht. „Das Verfahren war damit für die Gläubiger ein Erfolg.“ Bauch hatte nach dem Insolvenzantrag 2015 schwierige Sachverhaltsermittlungen zu führen, um Vermögenswerte des Unternehmens zu identifizieren und zu verwerten. Alphapool war 2009 zunächst als Aktiengesellschaft im Saarland gegründet worden. Später wandelte Alphapool seine Firmierung in eine GmbH um und verlegte den Firmensitz nach Leipzig. Ende Oktober 2014 untersagte die BaFin Alphapool das Geschäftsmodell und verpflichtete das Unternehmen, die Geschäfte rückabzuwickeln. Im April 2015 stellte das Unternehmen schließlich Insolvenzantrag, nachdem es seine Kunden nicht auszahlen konnte. Corona- Überbrückungshilfen: Fristverlängerung möglich Kapitalanlage-Betrug: Überdurchschnittliche Quote trotz schwieriger

Constantin Graf Salm-Hoogstraeten vom Augsburger Standort von Schultze & Braun hat im April unmittelbar nach dem Insolvenzantrag die Investorensuche für den Industrie- und Gebäudereinigungsspezialisten Topp-Clean gestartet. Ziel des vorläufigen Insolvenzverwalters ist es, eine Übernahme des qualifizierten Innungs- und Meisterbetriebs und der 80 Mitarbeitenden durch einen Investoren zu erreichen. Der Geschäftsbetrieb von Topp-Clean läuft unterdessen weiter. Das Leistungsangebot des 2015 gegründeten Unternehmens umfasst alle klassischen Reinigungsdienstleistungen. Aber auch Spezialfälle wie die Reinigung von Solaranlagen oder die Desinfektion und Teppichreinigung oder Sonder-, Baugrob- und Feinreinigungen können beauftragt werden. Der Insolvenzantrag und der Einstieg eines Investors bei Topp-Clean sind unter anderem durch die Preissteigerungen bei Reinigungsmitteln und den zur Reinigung notwendigen Utensilien und Geräten sowie der gestiegenen Energiepreise notwendig geworden. Investorenprozess gestartet Bedingungen Die saarländischen Strafverfolgungsbehörden sahen in dem Vorgehen Alphapools einen Kapitalanlagebetrug in Form eines Schneeballsystems und leiteten Ermittlungen ein. 2018 verurteilte das Landgericht Saarbrücken mehrere ehemalige Geschäftsführer zu mehrjährigen Haftstrafen. Rüdiger Bauch, der am Standort Leipzig von Schultze & Braun tätig ist, wurde mit Start des Verfahrens im Jahr 2015 zum Insolvenzverwalter bestellt.

Rares fü Bares! T i tel

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Herr Haffa, Leoni wirft ein Schlaglicht auf die Möglichkeiten des StaRUG. Wie bewerten Sie die Entwicklung? Haffa: Leoni ist natürlich allein schon aufgrund des enormen Volumens der finanziellen Restrukturierung besonders. Das dürfte größer sein als bei den knapp 50 StaRUG-Fällen zusammen, die es nach Angaben der 24 Restrukturierungsgerichte 2021 und 2022 gegeben hat. Schaut man auf die reine Zahl der StaRUG-Verfahren – steht das „R“ in StaRUG auch nach der Ankündigung von Leoni immer noch für „Rarität“. Die finanzielle Restrukturierung bei Leoni zeigt nun allerdings das große Potential des vorinsolvenzlichen Verfahrens. In Anlehnung an die bekannte von Horst Lichter moderierte TV-Show kann man beim StaRUG durchaus von „Rares für Bares“ sprechen. Bis dato wurde dem StaRUG ja oft die Praxistauglichkeit abgesprochen. Sehen Sie das mit dem LeoniFall nun widerlegt? Haffa: Spätestens jetzt ist klar, welche Möglichkeiten die vorinsolvenzliche Restrukturierung bietet – und das nicht nur auf nationaler Ebene. Seit Mitte Juli 2022 ist das StaRUG ja auch EU-weit anwendbar. Dass sich die Sichtweise auf das StaRUG nun zu wandeln scheint, zeigen auch unsere Umfragen auf LinkedIn. Leoni zeigt als prominentes Anwendungsbeispiel, was das Verfahren im Vorfeld und außerhalb einer Insolvenz gerade bei der finanziellen Restrukturierung an Vorteilen bietet. Welche sind das? Haffa: Vor allem, dass opportunistische Gläubiger oder sogar ganze Gläubigergruppen mit dem StaRUG mehrheitsbasiert überstimmt werden können. Das ist zum Beispiel von Vorteil, wenn einzelne Gläubiger mit ihrer Weigerung eine von den anderen Beteiligten angestrebte Restrukturierung be- oder sogar verhindern könnten. Bei Leoni ist die erforderliche Mehrheit dafür gesichert worden, da sämtliche Konsortialdarlehensgeber und wesentliche Schuldscheindarlehensgläubiger zugestimmt haben. Der Automobilzulieferer Leoni setzt seine finanzielle Restrukturierung im Rahmen eines StaRUG-Verfahrens um und könnte damit der vorinsolvenzlichen Restrukturierung zum Durchbruch verhelfen. Dr. Dietmar Haffa von Schultze & Braun war bereits in mehreren StaRUG-Fällen tätig. Im Interview spricht er über seine Sicht auf das StaRUG und den Fall Leoni und erläutert, wie das StaRUG Emittenten bei der Restrukturierung von Anleihen und Schuldscheindarlehen helfen kann. Rares fü Unser Seminartipp Wie Sie erfolgreich eine Sanierung begleiten – mit dem StaRUG oder auch mittels IDW S 6 oder Insolvenzplan – erfahren Sie in unserem Online-Lehrgang „Praxiswissen Sanierung“ am 22. und 23. Mai 2023. T i tel

Kann die Überstimmungs-Möglichkeit des StaRUG auch bei der Restrukturierung von Anleihen von Vorteil sein? Haffa: Ja, mit dem StaRUG können Anleihen auch dann restrukturiert werden, wenn dies in den Bedingungen nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Das ist ein klarer Vorteil im Vergleich zum Schuldverschreibungsgesetz, kurz SchVG. Mehrheitsentscheidungen sind zwar auch damit grundsätzlich möglich – allerdings nur, wenn dies in den Anleihebedingungen so vorgesehen ist. Ist das StaRUG bei der Restrukturierung von Anleihen also besser als das SchVG? Haffa: Das lässt sich pauschal nicht sagen, das StaRUG hat aber sicherlich einige Vorteile. So lassen sich damit nahezu alle im SchVG vorgesehenen Maßnahmen umsetzen. Ein Emittent in einer Krise sollte aber trotzdem immer individuell prüfen und entscheiden, welche Restrukturierungsvariante er wählt. Es muss auch kein entweder oder sein, denn es ist sogar möglich, bei einer Restrukturierung das StaRUG und das SchVG einzusetzen. Ist eine Anleihe breit gestreut, wird allerdings das StaRUG das Restrukturierungsverfahren der ersten Wahl sein. Wieso? Haffa: In solchen Fällen ist es oftmals schwierig, überhaupt genügend Anleihegläubiger an der Abstimmung beteiligen zu können. Nach dem SchVG muss mindestens die Hälfte der Gläubiger an der Abstimmung beteiligt sein. Beim StaRUG werden alle Anleihegläubiger als Basis herangezogen – auch wenn sie nicht an der Abstimmung teilnehmen. In beiden Fällen müssen grundsätzlich 75 % zustimmen. Beim StaRUG können jedoch nicht nur die ablehnenden 25 % der Gläubiger, sondern ganze Gläubigergruppen überstimmt werden. Was sind die Voraussetzungen, um ganze Gläubigergruppen mehrheitlich zu überstimmen? Haffa: Ein solcher sogenannter Cross-Class-Cramdown ist immer an bestimmte Bedingungen geknüpft. So dürfen die betroffenen Gläubiger etwa durch den Restrukturierungsplan nicht schlechter gestellt werden als sie ohne den Plan stünden. Ein Vorteil des StaRUG: Im Restrukturierungsplan kann der Emittent alle seine Anleihen einbeziehen, er kann die Restrukturierung im Plan aber auch auf ausgewählte Anleihen beschränken. Beim SchVG muss das Verfahren für jede Anleihe einzeln durchlaufen werden. Kommen wir zurück zu Leoni. Was zeigt dieser Fall mit Blick auf das StaRUG noch? Haffa: Dass das StaRUG es ermöglicht, ein Unternehmen schnell wieder auf eine gesunde finanzielle Basis zu stellen. Bei Leoni geht man davon aus, dass die Restrukturierung bereits im Sommer abgeschlossen werden kann. Rechnet man die Vorbereitungszeit nach dem Einstieg des Restrukturierungsgeschäftsführers Anfang Januar hinzu, kommt man auf eine Verfahrensdauer von rund 200 Tagen. Das deckt sich angesichts der Größe von Leoni mit den rund 150 Tagen bei den StaRUG-Verfahren, bei denen ich im Einsatz war. ür Bares!

Thema Leoni und Steinhoff – zwei Konzerne, die Ende März mit ihren Ankündigungen für Aufsehen gesorgt haben, für ihre finanziellen Restrukturierungen das StaRUG (Leoni) und das WOAH (Steinhoff) zu nutzen. Grund genug, mit Dr. Michael Rozijn und Benjamin Schmutz von Schultze & Braun einen ausführlicheren Blick auf das vorinsolvenzliche Verfahren der Niederlande und seine Auswirkungen für deutsche Unternehmen zu werfen. StaRUG in het Nederlands Sowohl das StaRUG als auch das WOAH wurden zum Jahresbeginn 2021 eingeführt. „Ähnlich wie das StaRUG in Deutschland stellt das WOAH in den Niederlanden für das Insolvenzrecht eine tiefgreifende Veränderung dar“, sagt Rozijn, der den Dutch Desk der Kanzlei leitet. „Das WOAH enthält die Regelungen für einen vorinsolvenzlichen präventiven Restrukturierungsrahmen und ist damit vergleichbar mit dem StaRUG.“ Im Mittelpunkt beider Verfahren steht ein Restrukturierungsplan und ein – notfalls auch erzwungener – Vergleich mit den Gläubigern. Umstrukturierung der Verbindlichkeiten Für das WOAH hat sich der niederländische Gesetzgeber am US-amerikanischen Chapter 11 und am englischen scheme of arrangement orientiert. Ziel des Restrukturierungsverfahrens ist die Umstrukturierung der Verbindlichkeiten eines Unternehmens über einen Vergleich mit den Gläubigern und Gesellschaftern. „Grundsätzlich ist ein WOAH-Verfahren auf die Fortführung des Unternehmens ausgerichtet“, sagt Benjamin Schmutz, der ebenfalls für den Dutch Desk von Schultze & Braun tätig ist. „Ziel kann aber auch die Liquidation des Unternehmens sein.“ Unabhängig davon, ob es im Verfahren um Fortführung oder Liquidation geht, bietet das WOAH – wie auch das StaRUG – die Möglichkeit, dass per Gerichtsbeschluss auch die Gläubiger an den Vergleich gebunden werden können, die diesem nicht zugestimmt haben.

Risiko für deutsche Gläubiger “Beim WOAH ist das nicht-öffentliche vom öffentlichen Verfahren zu unterschieden. Für deutsche Gläubiger ist dabei vor allem das öffentliche Verfahren von großer Bedeutung und mit einem nicht unerheblichen finanziellen Risiko verbunden“, sagt Schmutz. „Denn damit ist der Restrukturierungsplan nach dem WHOA auch grenzüberschreitend in allen anderen EU-Staaten umsetzbar.“ Das bedeute, dass auch Gläubiger aus Deutschland dazu gezwungen sein können, einen Vergleich hinzunehmen, dem sie nicht zugestimmt haben – zumal das WOAH auch ermögliche, finanziell für das Unternehmen belastende Verträge vorzeitig zu beenden, so Rozijn. Für den Fall, dass ein niederländischer Vertragspartner ein öffentliches WOAH-Verfahren durchläuft, rät er: „Deutsche Gläubiger sollten in diesem Fall tätig werden und sich nach Möglichkeit in den Restrukturierungsprozess einbringen. Denn ebenso wie nach dem StaRUG in Deutschland bietet die Restrukturierung nach dem WOAH in den Niederlanden eine große Chance, das Insolvenzrisiko zu überwinden und den Totalverlust von Forderungen zu vermeiden.“ Das Steinhoff-Verfahren betrifft derzeit die Holding-Gesellschaft und hat Auswirkungen insbesondere für Finanzierungs- und Anleihegläubiger sowie Aktionäre. Aber, so Rozijn weiter, auch Lieferanten der operativen Tochtergesellschaften könnten mittelbar betroffen sein. Hier kommt es auf die Konzernstruktur und eventuelle Haftungstatbestände innerhalb des Verbundes an. Insofern sollten auch diese Lieferanten das Verfahren wachsam beobachten, so der Leiter des Dutch Desk. Einem Insolvenzantrag zuvorkommen Ein WOAH-Verfahren kann vom Schuldnerunternehmen, aber auch von Gläubigern oder Gesellschaftern initiiert werden. Startet das Schuldnerunternehmen das Verfahren, hinterlegt es eine entsprechende Erklärung bei Gericht. Es ist mit einem WOAH-Verfahren sogar möglich, Insolvenzanträgen zuvorzukommen. Sie werden für die Dauer des Restrukturierungsverfahrens – in der Regel wenige Monate – ausgesetzt. Das Schuldnerunternehmen kann innerhalb einer sogenannten Abkühlungsphase von vier bis maximal acht Monaten nach dem Start des WOAH-Verfahrens die Aussetzung von Gläubigerrechten beantragen. Gläubiger oder Gesellschafter müssen – wenn sie ein WOAH-Verfahren beginnen wollen – vom Gericht einen Restrukturierungsexperten ernennen lassen, der in der Folge einen Vergleichsvorschlag erarbeitet und unterbreitet. „Auf diese Weise kann beim WOAH den Gläubigern ein Vergleichsvorschlag auch ohne beziehungsweise gegen das Schuldnerunternehmen unterbreitet werden“, sagt Rozijn. „Der Vergleich kann in einem Forderungsverzicht, einem Zahlungsaufschub oder auch einem Debt-toEquity-Swap bestehen.“ Der Vergleich beim WOAH kann – wie auch beim StaRUG – allen Gläubigern oder nur einem Teil vorgelegt werden. Unter anderem muss er gewährleisten, dass die Gläubiger mit dem Vergleich nicht schlechter gestellt werden als bei einer Insolvenz. Grundsätzlich keine Rechtsmittel „Wie beim StaRUG können auch beim WOAH einzelne Gläubiger oder sogar Gläubigergruppen überstimmt werden“, sagt Schmutz. Bei der Abstimmung innerhalb der Gläubigerklassen gilt für das Mehrheitsergebnis eine 2/3-Schwelle: Die zustimmenden Gläubiger müssen 2/3 des Kapitals auf sich vereinen, für das ein Votum abgegeben wurde. Der Vergleich kann vom Gericht sowohl für einzelne widersprechende Gläubiger oder Gesellschafter innerhalb einer Gläubigerklasse als auch für eine ganze widersprechende Gläubigerklasse entgegen ihrem Widerspruch bindend festgestellt werden. „Gegen ein solches Gerichtsurteil sowie andere gerichtliche Entscheidungen stehen im Rahmen einer WOAHRestrukturierung grundsätzlich keine Rechtsmittel offen“, sagt Rozijn. „Das zeigt, wie wichtig es für deutsche Lieferanten sein kann, sich in ein öffentliches WOAH-Verfahren so aktiv wie möglich einzubringen, um den Vergleich mitzugestalten.“ Worauf deutsche Unternehmen achten sollten, damit sichere Geschäfte mit niederländischen Partnern gelingen, haben Michael Rozijn und Benjamin Schmutz in der Dezember-Ausgabe erläutert.

Schufa ist gut, Gesetzgeber ist besser Thema Im Interview erläutert René Schmidt von Schultze & Braun die Vor- und Nachteile der Schufa-­ Entscheidung zur kürzeren Speicherdauer der Restschuldbefreiung in den Bonitätsauskünften der Auskunftei. Zudem spricht er darüber, warum aus seiner Sicht das Problem noch nicht endgültig gelöst ist und der Gesetzgeber aktiv werden sollte. Herr Schmidt, wer eine Wohnung mieten will oder von seiner Bank ein Darlehen haben möchte, kommt ohne sie in der Regel nicht aus: die sogenannte Schufa-Auskunft. Wie war die bisherige Praxis der Schufa bei ihrer Bonitätsauskunft? Schmidt: In einer Bonitätsauskunft – die es natürlich auch von anderen Auskunfteien gibt – steht neben vielen weiteren Dingen auch, wenn über das Vermögen einer Person ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und wenn ihr vom Insolvenzgericht die sogenannte Restschuldbefreiung erteilt wurde. Viele Jahre haben die Schufa und viele weitere Auskunfteien diese Information bis drei Jahre nach der Erteilung gespeichert – obwohl in der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren und Restrukturierungssachen im Internet, kurz InsBekV, bereits seit 2007 eine Höchstgrenze von sechs Monaten festgelegt war. Man konnte also durchaus von Schufa vs. InsBekV sprechen? Schmidt: Ja, seit dem 28. März 2023 speichert die Schufa die Erteilung einer Restschuldbefreiung aber nur noch für ein halbes Jahr und gleicht damit ihre Speicher- und Löschfrist an die Vorgabe der InsBekV Unser Seminartipp Sie benötigen Praxis-Know-How für die Abwicklung einer Verbraucherinsolvenz und möchten wissen, wann die Restschuldbefreiung greift und wann nicht? Dann besuchen Sie unser Online-Seminar „Verbraucherinsolvenzen schnell und effizient abwickeln“ am 18. Oktober 2023.

an. Allerdings dürfte die Verordnung nicht der eigentliche Anlass für den Sinneswandel der Schufa sein. Sondern? Schmidt: Die Schufa kommt damit einer sehr wahrscheinlichen Entscheidung des EuGH zuvor. Der Generalanwalt am EuGH hat sich am 16. März für eine verkürzte Speicherung der Restschuldbefreiung ausgesprochen, und meist folgen die Luxemburger Richter der Empfehlung des Generalanwalts. Wie bewerten Sie die Entscheidung der Schufa aus Schuldnersicht? Schmidt: Für Schuldner ist sie eine gute Neuigkeit und ein Vorteil. Denn die Speicherung einer erteilten Restschuldbefreiung über drei Jahre hat so manchem Schuldner einen echten wirtschaftlichen Neustart verwehrt. Inwiefern? Schmidt: Sie wurden durch die Restschuldbefreiung zwar von ihren Schulden befreit – auch wenn sie genau genommen nicht weg, sondern nur nicht mehr durchsetzbar sind – aber faktisch waren bis zur Löschung nach 36 Monaten bei jeder Bonitätsauskunft damit konfrontiert, dass „schuldenfrei sein“ und „als schuldenfrei angesehen werden“ durchaus zwei Paar Schuhe sind. Die Information über die Schuldenbefreiung mittels Insolvenz erhalten nun zumindest die Kunden der Schufa nur noch bis sechs Monate nach der Erteilung der Restschuldbefreiung. Ist die gute Nachricht für die Schuldner auch für die Kunden der Schufa gut? Schmidt: Die positive Nachricht für die Schuldner erschwert das Risikomanagement vieler Kunden der Schufa – vom kleinen Handwerksbetrieb bis zum Großkonzern. Denn dass ein Vertragspartner in der jüngeren Vergangenheit nicht in der Lage war, seine Verbindlichkeiten vollständig zu bezahlen, ist eine Information, deren Bedeutung für die Einschätzung des finanziellen Ausfallrisikos einige Aussagekraft besitzt. Diese Information erhalten die Kunden der Schufa nun weitaus kürzer als bislang. Wieso ist das aus Ihrer Sicht problematisch? Schmidt: Eine nachhaltige Entschuldung gelingt bei Verbrauchern, aber auch bei Unternehmen, nur dann, wenn mit der Insolvenz auch die ihr zugrundeliegenden Ursachen beseitigt werden. Die reine Entschuldung ist nur bedingt nachhaltig, wenn das Verhalten des Schuldners die Ursache für die finanzielle Schieflage war und sich das Verhalten nicht ändert. Würde die Angabe des Grundes für die bisherige Insolvenz Abhilfe schaffen? Schmidt: Ja, die Bonitätsauskunft wäre damit unabhängig von der Speicherdauer weitaus aussagekräftiger – vor allem wäre der Aspekt wichtig, ob der Schuldner unverschuldet oder selbstverschuldet in diese Situation gekommen ist. Allerdings sind das theoretische Punkte. Theoretisch? Schmidt: Die Informationen zum Grund einer Insolvenz und dem „Schuld-Aspekt“ steht einer Auskunftei nicht zur Verfügung, und es würde sich auch die Frage stellen, wer diese Punkte objektiv beurteilen sollte. Kommen wir zurück zur verkürzten Speicherdauer der Restschuldbefreiung. Gilt nun das Motto „Schufa gut, alles gut“? Schmidt: Der Schritt der Schufa ist zwar sehr zu begrüßen, allerdings ist damit das Problem leider noch nicht endgültig gelöst. Denn neben der Schufa gibt es noch weitere Auskunfteien sowie weitere Dritte, die Informationen zur Restschuldbefreiung möglicherweise weiterhin länger als sechs Monate speichern. Das führt zu einem Flickenteppich bei den Bonitätsauskünften und zu Wettbewerbsverzerrungen. Das Motto lautet also eher: „Schufa ist gut, Gesetzgeber ist besser“. Der Gesetzgeber sollte mit einer einheitlichen Regelung für Auskunfteien und Dritte für Rechtssicherheit sorgen.

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